In Nomine Mortis
entdeckte hinter einer versteckten Pforte Münzen ohne Zahl: nicht
eine Truhe, nicht eine Kammer, nein, einen ganzen Rittersaal voller Gold
und Silber! Niemals zuvor hat irgendjemand dergleichen Reichtümer an
einem Ort gehortet gesehen. Es war ein Funkeln und ein gleißendes
Licht, als wären tausend Kerzen entzündet. Der junge Mönch
trat in diese Höhle der Schätze. So betäubt war er von
dieser Pracht, dass er nicht einmal auf die Schmerzen achtete, die er
erlitt, als ein schwerer güldener Leuchter umstürzte und ihm
dabei den kleinen Finger der rechten Hand zerschmetterte.«
»Ihr«, flüsterte
ich ehrfürchtig und blickte auf die verstümmelte Rechte des
Inquisitors, »Ihr wart jener junge Mönch.« Philippe de
Touloubre nickte. »Kaum mehr als ein Novize war ich. Nur einem
Zufall war es zu danken, dass ich während des Prozesses für
einige Wochen aus dem Süden nach Paris entsandt worden war und zu
jener Gruppe gehörte, welche den Temple durchstreifte.
Noch in der gleichen Nacht
schafften wir den Schatz in ein anderes Versteck. Dort ruht er noch heute
an einem verborgenen Ort. Allen sichtbar und dem Himmel so nah wie
nirgendwo sonst und doch unsichtbar für die Augen der Uneingeweihten.
Nicht der König, ja nicht einmal der Papst weiß davon. Stets
sind es nur zwölf Dominikaner, die allesamt der Inquisition zu Paris
dienen, die von diesem Schatz Kenntnis haben. Ihnen wiederum unterstehen
zwölf Dutzend verschwiegene Mitbrüder, die alle ihnen erteilten
Aufträge gewissenhaft ausführen, ohne auch nur zu ahnen, welchen
Sinn sie haben.« Meister Philippe unterbrach seine Rede und starrte
gedankenverloren zum schmutzigen Deckengewölbe der Folterkammer.
»Ich gestehe«, fuhr er schließlich fort, »dass
mich dieses Geld in Verwirrung stürzte, wie mich wohl nie eine
ketzerische Irrlehre so in Verwirrung gestürzt hat. Denn was sollten
wir mit all dem Gold und Silber anfangen?
Überall brennt doch die
Christenheit, überall erhebt Satan sein Haupt. Die Sarazenen haben
Jerusalem und das ganze Heilige Land zurückerobert: Bethlehem, wo
Christus geboren ward, Nazareth, sein Heimatdorf, der Berg, von dem er
predigte, der Jordan, in dem er getauft wurde, das Haus zu Kapernaum, da
er die Schwiegermutter des Petrus heilte, der Ort, an dem er die Fünftausend
speiste, das Grab des Lazarus, Jerusalems Tempel, die Schädelstätte
Golgatha, über der sich sein Kreuz einst erhob, und auch das leere
Felsengrab — alles in der Hand der Ungläubigen!
Aber sieh dich um, Bruder
Ranulf: Wird es einen neuen Kreuzzug geben, das Heilige Land zurückzuerobern?
Nein, die christlichen Fürsten des Abendlandes ziehen nicht gen
Osten, sie zerfleischen sich in ihren eigenen Reichen. Stehen denn nicht
die Englischen und Burgundischen in Frankreich und quälen das Land,
statt gen Jerusalem zu fahren? Wer von diesen Landsknechten, wer von den
Adeligen, die sie führen, verschwendet auch nur einen Gedanken an
Jerusalem? Und das ist längst noch nicht alles. Ketzer predigen
Irrlehren mitten in den Ländern der Christenheit: Katharer,
Fraticellen und wie sie alle heißen. Mit der Predigt und mit dem
Feuer ringt die Inquisition gegen diese Häretiker, doch kaum haben
wir irgendwo eine Irrlehre nach harten Kämpfen ausgerottet, da erhebt
sich irgendwo anders eine neue Ketzerei. Die Kirche gleicht einem
wohlbestellten Garten, in dem wir Inquisitoren Unkraut ausrupfen. Doch so
sehr wir uns auch mühen, stets wächst irgendwo ein neues
giftiges Kraut aus dem Boden.
Als ob auch dies noch nicht
ausreichen würde in unserer Bedrängnis: Selbst im Schoß
der Mutter Kirche wächst die Ketzerei, getarnt durch eine neue
Gelehrsamkeit. Männer mit zerstörerischer Neugier und einem gefährlichen
Wissen tragen das geistliche Ornat. Wie jener Lambert von Saint-Omer,
dessen »Liber
floribus« du, Bruder Ranulf, doch so gerne gelesen hast. Ein ehrwürdiger
Chorherr, fürwahr! Doch in seinem Werk finden sich mehr Ketzereien
als in den Schriften der Katharer!
Bist nicht du, mein
Mitbruder, selbst ein Beispiel für jene Männer GOTTES, die vom
rechten Weg abgekommen sind? Wissen willst du, um des Wissens willen. Dafür
zahlst du fast jeden Preis. Hat man dir befohlen, nachts heimlich durch
das Kloster zu schleichen? Ist es eine Tugend, den Inquisitor von Paris zu
belügen? Gefällt es GOTT,
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