In Nomine Mortis
Fenster waren
eingeschlagen, ein zerschnittener Vorhang bewegte sich träge im
Windhauch, der von der Seine her herüberwehte. Ich hob den Schürhaken
und schlich hinein.
Halb hatte ich erwartet, hier
auf Schattengestalten zu treffen, doch war ich ein Narr, denn die
Sergeanten und die Inquisitoren hatten das Haus ja schon zuvor geplündert,
sodass es hier nichts mehr zu holen gab. Und was nicht weggeschleppt
worden war, das hatten sündige Hände zerstört. Ich musste
Acht geben, dass ich nicht auf zerfetzten Teppichen ins Taumeln geriet
oder mich an den Splittern zerschlagener Truhen und Tische verletzte.
So bewegte ich mich
vorsichtig durch das leere Heim. Als ich in die Bibliothek kam, hätte
ich sie kaum wiedererkannt. Denn hier, wo allein die Inquisitoren zugegen
gewesen waren, fand ich keine Spur von Gewalt. Und auch keine Spur von
irgendetwas sonst: Alles war verschwunden: Bücher, Pergamentrollen, Bücherkisten,
Schreibpulte, Federn, Tintenfässer — nichts, nicht ein
Staubkorn, war mehr in diesem Raum.
Es war, als hätte es die
große Bibliothek des Nechenja ben Isaak nie gegeben.
Ich ging über die Stiege
ins nächste Geschoss. Auch hier waren die Zimmer verwüstet und
ihrer wertvollen Einrichtung beraubt worden. Ich stolperte an
zerschlagenen Betten und Truhen vorbei. Endlich, da ich glaubte, dass kein
Plünderer mehr im Hause sei, wagte ich es, nach Lea zu rufen. Laut
rief ich ihren Namen, wohl ein Dutzend Mal. Ich sagte auch, wer ich sei,
dann lauschte ich, ob ich irgendwo eine Antwort oder wenigstens ein verräterisches
Geräusch hören mochte. Vergebens.
Enttäuscht schritt ich
die Stiege wieder hinunter. Ich war schon an der Tür, als ich plötzlich
eine leise Stimme flehen hörte: »Bruder Ranulf, bleibt!«
Eine versteckte Tür
unterhalb der Stiege schwang auf - und Lea trat heraus.
Da vergaß ich meine mönchische
Würde und meine Pflicht als Christenmensch - und stürzte der
jungen Jüdin entgegen und schloss sie in die Arme.
»Wie bin ich glücklich,
Euch zu sehen!«, rief ich.
»Und ich nicht minder«,
erwiderte Lea und auch sie schloss mich in die Arme.
Dann berichtete sie mir mit
wenigen, hastigen Worten, dass ihr an jenem Tag, da ich die Sergeanten vor
dem Haus des Wollhändlers abgelenkt hatte, tatsächlich die
Flucht gelungen war. Sie hatte sich zwei Tage am Ufer der Seine zwischen
den Stapeln der Stoffballen und der leeren Kisten für die Schiffe
versteckt, was leicht war, da dort niemand mehr Fracht ablud.
»Doch dann wurde es so
schrecklich auf den Straßen, dass mir graute«, fuhr sie fort.
»In einem fort starben die Menschen. Manche sanken nur ein paar
Schritte vor den Kisten nieder, hinter denen ich mich verbarg. Und
schlimmer noch als die Sterbenden waren die Lebenden.«
Ich dachte an das, was ich
soeben gesehen hatte, nickte und legte ihr die Hand auf die Lippen.
»Sprecht nicht darüber«, bat ich. »Ich schlich mich
am zweiten Abend zum Haus meines Vaters zurück, da ich nicht wusste,
wohin ich mich wenden sollte. Von Euch, Bruder Ranulf hatte ich doch
nichts mehr gehört. Ich dachte, Ihr würdet auf dem
Scheiterhaufen enden!« Sie drückte meine Hand. »Ich sah,
dass die Sergeanten genug mit den Toten zu tun hatten, denn anfangs bemühten
sie sich noch, jedes Opfer zum Friedhof zu tragen«, fuhr sie fort.
»Später jedoch sah ich keinen Sergeanten mehr. Also glaubte ich
mich im Haus meines Vaters sicher. Das war ich auch. Hier fand ich altes
Brot und ein paar getrocknete Datteln, die niemand mitgenommen hatte. Während
der Gewitter jener Tage schöpfte ich Regenwasser vom Dach in einen
Krug, den ich aus der Küche geborgen hatte.
Seither verstecke ich mich,
denn ich wage mich nicht mehr heraus.«
Sie machte eine kleine Pause,
dann sah sie mich aufmerksam an. »Habt Ihr etwas von meinem Vater
gehört?«
Sollte ich sie anlügen?
Sollte ich ihr die Wahrheit sagen? Während ich mich für einen
Augenblick mit diesen Fragen quälte, hatte mich mein Blick schon
verraten.
»Er ist tot«, flüsterte
Lea tonlos.
Da nahm ich sie wieder in den
Arm und erzählte ihr von meinen Tagen im Kerker und davon, wie ich
die Freiheit erlangte und dabei zufällig ihren toten Vater entdeckte.
In welchem Zustand ich ihn angetroffen hatte, das allein verschwieg ich
ihr.
Sie weinte vor Kummer eine
lange Zeit und ich wusste
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