Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
Vom Netzwerk:
jemand schlug eine Trommel in einem wilden Takt. Kein Chor war dies, kein
     frommer Hymnus, sondern die Melodie von Menschen, die zum Tanz aufspielen.
    Ich weiß nicht, warum
     es so war, vielleicht war es eine Vorahnung: Diese fröhlichen Weisen
     jedenfalls versetzten mich in noch größere Angst als die tödliche
     Stille zuvor.
    Vorsichtig wagte ich mich
     weiter, Schritt für Schritt — bis ich zu jener Ecke kam, da
     sich die Straße auf die Place de Greve hin öffnete. Dort
     tanzten Menschen, wohl etliche Hundert an der Zahl. Auf dem Platz hatten
     sie aus zerschlagenen Truhen und Tischen, aus herausgerissenen Türen
     und Fensterläden einen Scheiterhaufen aufgeschichtet, der lichterloh
     brannte. Daneben waren große Weinfässer herangerollt worden,
     die aufgebrochen waren, sodass der Rebensaft aus ihnen quoll wie Blut. Im
     wilden roten Schein der Flammen, nur ein paar Schritte von diesen
     entfernt, erglänzten die goldüberzogenen Schnitzereien eines
     prachtvollen Altares, den verbrecherische Hände aus einer der nahe
     gelegenen Kirchen gezerrt haben mussten. Auf dem Altar stand ein halbes
     Dutzend Vaganten. Sie waren es, die jene lustige, schnelle Weise spielten,
     die ich vernommen hatte. Um das Feuer und die Musiker auf ihrer
     blasphemischen Bühne tanzten Männer und Weiber in einem wilden
     Reigen. Die meisten waren nackt, kein Fetzen Stoff bedeckte ihre Blöße.
     Sie schrieen und jauchzten wie Bauern auf einem Dorffest und riefen
     einander mit derben Schimpfworten. Männer fassten Frauen, sogar
     Frauen fassten Männer schamlos an, dass ich es nicht zu beschreiben
     wage. Hin und wieder sanken zwei nieder und erkannten sich fleischlich,
     mitten auf dem Platz und umgeben von den Tänzern. Niemand wandte sich
     ab, sondern ein jeder schrie den Schamlosen, die sich am Boden wälzten,
     wohl noch Ermunterungen zu. So mancher erhob sich danach wieder und tanzte
     weiter, als sei nichts gewesen, lachend und trinkend aus den
     aufgebrochenen Fässern. Andere blieben am Boden liegen, ob vor Erschöpfung
     oder weil die Krankheit sie im Liebesspiel geholt hatte, das vermochte ich
     nicht zu sagen — die Tänzer jedenfalls bekümmerte dies
     nicht.
    Schrecklicher noch als diese
     schamlose Unzucht, ja selbst als die Entweihung einer Kirche erschien mir
     der Schmuck mancher Tänzer: Mit Farbe hatten sie sich rote und
     schwarze Flecken auf die Haut gemalt. Einige trugen Masken aus Stroh oder
     Stoff, die zerfressene Gesichter darstellen sollten. Wer vermochte da noch
     zu sagen, welches Krankenmal noch mit Farbe aufgetragen war - und welches
     bereits echt war?
    So groß war mein
     Entsetzen über dieses Schauspiel, dass ich mich für ein, zwei
     Augenblicke nicht von diesem Anblick losreißen konnte. Und wer weiß,
     wie lange ich wohl noch am Rand der Place de Greve gestanden hätte, wäre
     nicht eine Frau vor meinen Augen aufgetaucht, so plötzlich, als sei
     ein Dämon vor mir aus dem Boden gefahren.
    »Mönchlein, tanz
     mit mir!«, rief sie mir zu und lachte irre. Die Frau war nicht mehr
     jung, doch selbst in ihrer Wirrnis erkannte ich, dass ihr dunkles Haar vor
     noch nicht allzu langer Zeit wohlgepflegt und in kunstvollen Locken gelegt
     gewesen sein musste. Sie war nackt, ihre Haut glänzte vor Schweiß,
     doch waren ihre Hände fein, sie war makellos - bis auf die grellroten
     Male, die sie sich auf das Gesicht, auf ihre Arme und Brüste gemalt
     hatte. Ich wich zurück und schlug das Kreuz.
    Da lachte sie jedoch nur noch
     lauter. »Mönchlein«, kreischte sie, »dich will ich
     nicht nur tanzen lehren! Du sollst der dritte Mann sein, den ich heute
     bezwingen werde!«
    Da riss ich mich aus ihrem
     Griff los und floh vor ihrem wilden Gelächter.
    So groß war meine
     Furcht, dass ich mich nicht einmal umzusehen wagte. Ich rannte und rannte,
     als wäre ein Dämon hinter mir her - und das war vielleicht ja
     auch die Wahrheit.   
    Weder nach links noch nach
     rechts blickte ich. Wie blind stolperte ich auf den Grand Pont, hastete an
     den verschlossenen Häusern der Geldwechsler vorüber und
     taumelte, am Ende meiner Kraft, auf die Insel in der Seine. Düster
     wie eine Zwingburg ragte Notre-Dame vor mir auf.
    Ich rang nach Atem, dann
     schleppte ich mich zum Haus des Nechenja ben Isaak im Judenviertel nördlich
     der Kathedrale.
    Die Tür des Gebäudes
     war zerschlagen; der untere Teil der Pforte hing noch schief in einer
     Angel, der obere lag zersplittert auf der Gasse. Die

Weitere Kostenlose Bücher