In Nomine Mortis
jemand schlug eine Trommel in einem wilden Takt. Kein Chor war dies, kein
frommer Hymnus, sondern die Melodie von Menschen, die zum Tanz aufspielen.
Ich weiß nicht, warum
es so war, vielleicht war es eine Vorahnung: Diese fröhlichen Weisen
jedenfalls versetzten mich in noch größere Angst als die tödliche
Stille zuvor.
Vorsichtig wagte ich mich
weiter, Schritt für Schritt — bis ich zu jener Ecke kam, da
sich die Straße auf die Place de Greve hin öffnete. Dort
tanzten Menschen, wohl etliche Hundert an der Zahl. Auf dem Platz hatten
sie aus zerschlagenen Truhen und Tischen, aus herausgerissenen Türen
und Fensterläden einen Scheiterhaufen aufgeschichtet, der lichterloh
brannte. Daneben waren große Weinfässer herangerollt worden,
die aufgebrochen waren, sodass der Rebensaft aus ihnen quoll wie Blut. Im
wilden roten Schein der Flammen, nur ein paar Schritte von diesen
entfernt, erglänzten die goldüberzogenen Schnitzereien eines
prachtvollen Altares, den verbrecherische Hände aus einer der nahe
gelegenen Kirchen gezerrt haben mussten. Auf dem Altar stand ein halbes
Dutzend Vaganten. Sie waren es, die jene lustige, schnelle Weise spielten,
die ich vernommen hatte. Um das Feuer und die Musiker auf ihrer
blasphemischen Bühne tanzten Männer und Weiber in einem wilden
Reigen. Die meisten waren nackt, kein Fetzen Stoff bedeckte ihre Blöße.
Sie schrieen und jauchzten wie Bauern auf einem Dorffest und riefen
einander mit derben Schimpfworten. Männer fassten Frauen, sogar
Frauen fassten Männer schamlos an, dass ich es nicht zu beschreiben
wage. Hin und wieder sanken zwei nieder und erkannten sich fleischlich,
mitten auf dem Platz und umgeben von den Tänzern. Niemand wandte sich
ab, sondern ein jeder schrie den Schamlosen, die sich am Boden wälzten,
wohl noch Ermunterungen zu. So mancher erhob sich danach wieder und tanzte
weiter, als sei nichts gewesen, lachend und trinkend aus den
aufgebrochenen Fässern. Andere blieben am Boden liegen, ob vor Erschöpfung
oder weil die Krankheit sie im Liebesspiel geholt hatte, das vermochte ich
nicht zu sagen — die Tänzer jedenfalls bekümmerte dies
nicht.
Schrecklicher noch als diese
schamlose Unzucht, ja selbst als die Entweihung einer Kirche erschien mir
der Schmuck mancher Tänzer: Mit Farbe hatten sie sich rote und
schwarze Flecken auf die Haut gemalt. Einige trugen Masken aus Stroh oder
Stoff, die zerfressene Gesichter darstellen sollten. Wer vermochte da noch
zu sagen, welches Krankenmal noch mit Farbe aufgetragen war - und welches
bereits echt war?
So groß war mein
Entsetzen über dieses Schauspiel, dass ich mich für ein, zwei
Augenblicke nicht von diesem Anblick losreißen konnte. Und wer weiß,
wie lange ich wohl noch am Rand der Place de Greve gestanden hätte, wäre
nicht eine Frau vor meinen Augen aufgetaucht, so plötzlich, als sei
ein Dämon vor mir aus dem Boden gefahren.
»Mönchlein, tanz
mit mir!«, rief sie mir zu und lachte irre. Die Frau war nicht mehr
jung, doch selbst in ihrer Wirrnis erkannte ich, dass ihr dunkles Haar vor
noch nicht allzu langer Zeit wohlgepflegt und in kunstvollen Locken gelegt
gewesen sein musste. Sie war nackt, ihre Haut glänzte vor Schweiß,
doch waren ihre Hände fein, sie war makellos - bis auf die grellroten
Male, die sie sich auf das Gesicht, auf ihre Arme und Brüste gemalt
hatte. Ich wich zurück und schlug das Kreuz.
Da lachte sie jedoch nur noch
lauter. »Mönchlein«, kreischte sie, »dich will ich
nicht nur tanzen lehren! Du sollst der dritte Mann sein, den ich heute
bezwingen werde!«
Da riss ich mich aus ihrem
Griff los und floh vor ihrem wilden Gelächter.
So groß war meine
Furcht, dass ich mich nicht einmal umzusehen wagte. Ich rannte und rannte,
als wäre ein Dämon hinter mir her - und das war vielleicht ja
auch die Wahrheit.
Weder nach links noch nach
rechts blickte ich. Wie blind stolperte ich auf den Grand Pont, hastete an
den verschlossenen Häusern der Geldwechsler vorüber und
taumelte, am Ende meiner Kraft, auf die Insel in der Seine. Düster
wie eine Zwingburg ragte Notre-Dame vor mir auf.
Ich rang nach Atem, dann
schleppte ich mich zum Haus des Nechenja ben Isaak im Judenviertel nördlich
der Kathedrale.
Die Tür des Gebäudes
war zerschlagen; der untere Teil der Pforte hing noch schief in einer
Angel, der obere lag zersplittert auf der Gasse. Die
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