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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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     entkommen, falls er noch lebte. Ich hatte befürchtet, dass uns jemand
     im Turm beim Hinaufsteigen gehört haben könnte. Dann wäre
     es ihm möglich gewesen, vom rechten Turm bis zur Galerie
     hinabzusteigen, über die Galerie in den anderen Turm zu wechseln und
     die Kathedrale unerkannt zu verlassen, während Lea und ich uns noch
     auf dem Weg nach oben befanden. Nun hatte ich diesen Fluchtweg
     abgeschnitten — vorausgesetzt allerdings, der, den wir suchten, war
     uns nicht gerade auf eben jener Galerie entkommen.
    »Weiter!«,
     keuchte ich.
    Noch einmal kämpften wir
     uns wohl viele Dutzend Stufen hoch. Die Treppe wurde immer enger und wand
     sich immer steiler hoch. Ich fürchtete, dass uns jemand hier
     auflauern würde. Wir hätten ihn im Kampfe niemals überwinden
     können. Zugleich fürchtete ich, dass jener Schatten, den ich
     glaubte gesehen zu haben, uns nun folgen könnte und Lea angriff, die
     hinter mir war. Wir hätten in der Falle gesessen.
    Doch wir gelangten
     unbehelligt nach oben.
    Wir traten vom Treppenhaus in
     eine erstaunlich große, hohe, steingewölbte viereckige Kammer
     direkt unterhalb des stumpfen, an einen Beifried gemahnenden Abschluss des
     Kathedralenturmes. Einige schmale, doch hohe Fensterbögen ließen
     viel Licht von außen herein, doch waren die Scheiben an mehreren
     Stellen zersprungen. Drei schwarze Raben flatterten wild auf, als wir
     hereinstürmten. Ich schlug mit dem Schürhaken nach ihnen und
     vertrieb sie. Dann sah ich mich um.
    Wir waren zu spät
     gekommen.
    An der dem Eingang gegenüberliegenden
     Wand standen schwere Eichenkisten, manche waren fast mannshoch. Alle waren
     aufgeschlagen, bei manchen war der Deckel sogar abgerissen worden und lag
     daneben auf dem Steinboden. Und alle waren leer. Neben den Fenstern,
     sodass sie gut im Licht standen, befanden sich auch einige Schreibpulte.
     Auf einem lag noch ein kleines Messer, wie man es zum Abschaben zu
     tilgender Textpassagen verwendete. Auf dem Boden lagen einige
     Schreibfedern verstreut, außerdem war ein Tintenfass dort
     aufgeschlagen und zersprungen. Blaue Tinte hatte sich über die Steine
     ergossen. Sie war längst getrocknet. Es roch noch nach Pergament und
     Leder, doch außer einigen Fetzen, auf denen allerdings nicht eine
     einzige Zeile Text stand, waren keine Bücher oder Urkunden zu sehen.
    Mitten in der Kammer lag ein
     Toter. Es war ein Mönch, den die Raben umschwirrt hatten. Ein
     Dominikaner. »Tretet nicht näher!«, warnte ich Lea.
    »Glaubt Ihr, ich habe
     die letzten Tage mit verbundenen Augen zugebracht?«, antwortete sie
     mir. »Ich habe so viele grausige Tote gesehen, da werde ich auch
     diesen Anblick ertragen.«
    So hielten wir uns denn an
     den Händen, um uns gegenseitig Mut zu verleihen, als wir näher
     traten. Das Gesicht des Mitbruders, auch seine Arme und sein Oberkörper
     waren nicht nur von den Beulen entstellt, sie waren auch von den
     eisenharten Schnäbeln der Raben zerhackt worden. Und doch erkannte
     ich den Toten noch. »Es ist der Portarius«, flüsterte ich
     fassungslos.
    Wer hätte für die
     Verschwörer besser kontrollieren können, wer das Kloster betrat
     - und wer es verließ! Ich hatte, wie mir erst jetzt klar wurde, dem
     alten Mitbruder gegenüber die unverzeihliche Sünde des Hochmutes
     begangen. Niemals hatte ich den Portarius für wahrhaftig wichtig
     gehalten, niemals hatte ich gedacht, dass er mir gefährlich werden könnte.
     Und doch wusste er fast immer, wann ich das Kloster verlassen hatte. Und,
     wer weiß, vielleicht hatte er auch gesehen, wie ich mich vor dem
     Kloster in der Rue Saint-Jacques mit Magdalena, der Dienerin Klaras
     getroffen hatte — und mit Lea. Ein Auge der Inquisition.
    »Die Seuche hat ihn
     dahingerafft«, sagte Lea, die blass geworden war, deren Stimme
     jedoch gefasst klang. »Wie lange mag er schon tot sein?«
    »Ein paar Stunden
     vielleicht«, murmelte ich. »Er stinkt nach Fäulnis wie
     alle Unglückseligen, welche die Krankheit in sich trugen. Doch ich
     rieche noch nicht den süßlichen Hauch der Verwesung.« Lea
     deutete auf die geplünderten Kisten und die leeren Schreibpulte.
     »Dann sind seine Mitverschwörer uns nur ein paar Stunden
     zuvorgekommen.«
    »Doch mit all dem Gold
     und Silber werden sie langsam sein!«, rief ich, eilte zu einem
     Fenster in der linken Seite des Turms und starrte hinaus.
    Ais ich nur wenige Stunden
     zuvor an der Place de Greve angelangt war, da hatten mich die

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