In Nomine Mortis
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entkommen, falls er noch lebte. Ich hatte befürchtet, dass uns jemand
im Turm beim Hinaufsteigen gehört haben könnte. Dann wäre
es ihm möglich gewesen, vom rechten Turm bis zur Galerie
hinabzusteigen, über die Galerie in den anderen Turm zu wechseln und
die Kathedrale unerkannt zu verlassen, während Lea und ich uns noch
auf dem Weg nach oben befanden. Nun hatte ich diesen Fluchtweg
abgeschnitten — vorausgesetzt allerdings, der, den wir suchten, war
uns nicht gerade auf eben jener Galerie entkommen.
»Weiter!«,
keuchte ich.
Noch einmal kämpften wir
uns wohl viele Dutzend Stufen hoch. Die Treppe wurde immer enger und wand
sich immer steiler hoch. Ich fürchtete, dass uns jemand hier
auflauern würde. Wir hätten ihn im Kampfe niemals überwinden
können. Zugleich fürchtete ich, dass jener Schatten, den ich
glaubte gesehen zu haben, uns nun folgen könnte und Lea angriff, die
hinter mir war. Wir hätten in der Falle gesessen.
Doch wir gelangten
unbehelligt nach oben.
Wir traten vom Treppenhaus in
eine erstaunlich große, hohe, steingewölbte viereckige Kammer
direkt unterhalb des stumpfen, an einen Beifried gemahnenden Abschluss des
Kathedralenturmes. Einige schmale, doch hohe Fensterbögen ließen
viel Licht von außen herein, doch waren die Scheiben an mehreren
Stellen zersprungen. Drei schwarze Raben flatterten wild auf, als wir
hereinstürmten. Ich schlug mit dem Schürhaken nach ihnen und
vertrieb sie. Dann sah ich mich um.
Wir waren zu spät
gekommen.
An der dem Eingang gegenüberliegenden
Wand standen schwere Eichenkisten, manche waren fast mannshoch. Alle waren
aufgeschlagen, bei manchen war der Deckel sogar abgerissen worden und lag
daneben auf dem Steinboden. Und alle waren leer. Neben den Fenstern,
sodass sie gut im Licht standen, befanden sich auch einige Schreibpulte.
Auf einem lag noch ein kleines Messer, wie man es zum Abschaben zu
tilgender Textpassagen verwendete. Auf dem Boden lagen einige
Schreibfedern verstreut, außerdem war ein Tintenfass dort
aufgeschlagen und zersprungen. Blaue Tinte hatte sich über die Steine
ergossen. Sie war längst getrocknet. Es roch noch nach Pergament und
Leder, doch außer einigen Fetzen, auf denen allerdings nicht eine
einzige Zeile Text stand, waren keine Bücher oder Urkunden zu sehen.
Mitten in der Kammer lag ein
Toter. Es war ein Mönch, den die Raben umschwirrt hatten. Ein
Dominikaner. »Tretet nicht näher!«, warnte ich Lea.
»Glaubt Ihr, ich habe
die letzten Tage mit verbundenen Augen zugebracht?«, antwortete sie
mir. »Ich habe so viele grausige Tote gesehen, da werde ich auch
diesen Anblick ertragen.«
So hielten wir uns denn an
den Händen, um uns gegenseitig Mut zu verleihen, als wir näher
traten. Das Gesicht des Mitbruders, auch seine Arme und sein Oberkörper
waren nicht nur von den Beulen entstellt, sie waren auch von den
eisenharten Schnäbeln der Raben zerhackt worden. Und doch erkannte
ich den Toten noch. »Es ist der Portarius«, flüsterte ich
fassungslos.
Wer hätte für die
Verschwörer besser kontrollieren können, wer das Kloster betrat
- und wer es verließ! Ich hatte, wie mir erst jetzt klar wurde, dem
alten Mitbruder gegenüber die unverzeihliche Sünde des Hochmutes
begangen. Niemals hatte ich den Portarius für wahrhaftig wichtig
gehalten, niemals hatte ich gedacht, dass er mir gefährlich werden könnte.
Und doch wusste er fast immer, wann ich das Kloster verlassen hatte. Und,
wer weiß, vielleicht hatte er auch gesehen, wie ich mich vor dem
Kloster in der Rue Saint-Jacques mit Magdalena, der Dienerin Klaras
getroffen hatte — und mit Lea. Ein Auge der Inquisition.
»Die Seuche hat ihn
dahingerafft«, sagte Lea, die blass geworden war, deren Stimme
jedoch gefasst klang. »Wie lange mag er schon tot sein?«
»Ein paar Stunden
vielleicht«, murmelte ich. »Er stinkt nach Fäulnis wie
alle Unglückseligen, welche die Krankheit in sich trugen. Doch ich
rieche noch nicht den süßlichen Hauch der Verwesung.« Lea
deutete auf die geplünderten Kisten und die leeren Schreibpulte.
»Dann sind seine Mitverschwörer uns nur ein paar Stunden
zuvorgekommen.«
»Doch mit all dem Gold
und Silber werden sie langsam sein!«, rief ich, eilte zu einem
Fenster in der linken Seite des Turms und starrte hinaus.
Ais ich nur wenige Stunden
zuvor an der Place de Greve angelangt war, da hatten mich die
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