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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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Flüche, kein Gesang, keine Rufe der Marktweiber,
     kein Spiel der Vaganten, kein Gekreisch der Kinder; keine rumpelnden,
     eisenbeschlagenen Räder auf dem Pflaster, kein Hufgeklapper, kein
     Glockenläuten. Nur das Flattern von Taubenflügeln hallte durch
     die Stadt - und das Gesumm unzähliger Fliegen.
    In dicken, dunklen Wolken
     standen sie über den Toten, die allerorten auf der Straße
     lagen. Ich erblickte Männer und Frauen, Kinder und Greise, manchen
     Edelmann, viele Bürger und Bauern, einige Bettler, auch einen Arzt in
     seiner prächtigen Kleidung und zwei Franziskaner. Manche waren mitten
     auf dem Weg hingesunken, das Gesicht schwarz wie Kohle, als hätte sie
     der Tod in einem einzigen Augenblick umgemäht wie der Sensenmann das
     Gras. Andere waren in der Bäckerei oder in der Schmiede zu Boden
     gegangen und nie wieder aufgestanden. Wieder andere fand ich, die hatten
     sich an Hauswände gekrümmt oder an die Pforten der Häuser
     gekrallt — so, als hätten sie mit der Kraft ihrer letzten Atemzüge
     verzweifelt versucht, sich in die Gebäude zu retten.
    Doch wer hätte ihnen
     dort noch öffnen sollen? Aus den offen stehenden Fenstern so mancher
     Bürgerhäuser entquollen Wolken unzähliger Fliegen —
     und wie es in den Zimmern aussah, aus denen sie kamen, das wollte ich
     nicht wissen.
    Schwer drohte ein Gewitter.
     Es stank nach Tod und Fäulnis und süßlicher Verwesung,
     dass es einem den Atem raubte. Zudem mussten irgendwo in der Stadt kleine
     Brände wüten, denn ich sah dunkle, grauschwarze Qualmwolken und
     feine Asche langsam durch die stickige Luft der Gassen ziehen.
    So schlug ich mir denn einen
     Zipfel der Kapuze meiner Kutte, die in den langen Tagen im Kerker
     beschmutzt und zerrissen worden war, quer über den Mund, damit ich
     nicht gar so viele schädliche Miasmen einatmen musste. Dann ging ich
     weiter Richtung Seine. Doch wie kann ich mein Entsetzen beschreiben, da plötzlich
     einer der Toten den Arm nach mir reckte?
    Es war ein Mann, ein Bettler,
     der gar nicht tot war, zumindest noch nicht ganz. Der Unglückliche
     lag in seinen schwärzlichen, fauligen Ausscheidungen; Beulen überwucherten
     sein Gesicht. Fliegen hatten sich schon wie ein schrecklicher Schleier auf
     seinem Kopf niedergelassen. Nun, da er mit letzter Kraft den Kopf hob,
     flogen sie auf und umschwirrten ihn mit wütendem Gesumm. Langsam
     kroch der Kranke auf mich zu, die Rechte hatte er wie eine Klaue erhoben.
     Er stöhnte vor Schmerzen, vermochte jedoch kein Wort mehr über
     seine blutigen Lippen zu bringen. So flehte er mich stumm an, irgendetwas
     für ihn zu tun.
    Doch was hätte ich noch
     zu tun vermocht? Wäre ich bei ihm geblieben, wäre ich bei jedem
     Sterbenden geblieben, ich wäre wohl nie an mein Ziel gelangt. So
     wandte ich mich schaudernd ab — und rannte die Straße
     hinunter, so schnell ich konnte.
    Ich werde mich dafür schämen
     bis an das Ende meiner Tage, doch weiß ich zugleich, dass es richtig
     war, was ich getan habe. Denn nicht den Sterbenden durfte an jenem Tag
     meine Sorge gelten, sondern den Lebenden.
    Bald gewahrte ich, dass ich
     doch nicht der einzige Mensch war, der sich noch auf seinen Beinen halten
     konnte. Hinter manchen Fenstern sah ich Schatten und misstrauische Augen,
     die mir folgten; Fensterläden wurden plötzlich zugeschlagen, als
     ich mich näherte, ich hörte, wie sich in der Türe eines Bürgerhauses
     leise quietschend der Schlüssel im Schloss drehte.
    Dann sah ich in den düsteren
     Seitengassen Schatten: verhüllte Gestalten, ob Mann oder Weib war
     schwer zu unterscheiden, welche die Türen der Gebäude aufbrachen
     und Leuchter, Teppiche und silbernes Besteck davonschleppten. Andere
     Schatten beugten sich gar über die entstellten Toten und Sterbenden
     und raubten sie aus. Diese Verbrecher! Diese Narren! Was wollten sie
     kaufen mit all dem Gold und Silber? Sicherheit vor dem Schwarzen Tod? Die
     gab es nicht einmal im Königspalast! Vergebung ihrer Sünden? Als
     ob der Teufel sich von irdischen Schätzen bestechen ließe! So
     gaben sie denn für den Reichtum einer Stunde ihr ewiges Leben dahin.
     Ich war schon ein gutes Stück meines grausigen Weges vorangekommen,
     da hielt ich plötzlich inne. Musik.
    Ich glaubte, dass Satan
     meinen Sinnen einen Streich spielen wollte, doch als ich leise
     weiterschlich, da vernahm ich, je näher ich der Seine kam, desto
     deutlicher, die Töne einer Schalmei. Dazu spielte eine Laute und
    

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