In Nomine Mortis
Flüche, kein Gesang, keine Rufe der Marktweiber,
kein Spiel der Vaganten, kein Gekreisch der Kinder; keine rumpelnden,
eisenbeschlagenen Räder auf dem Pflaster, kein Hufgeklapper, kein
Glockenläuten. Nur das Flattern von Taubenflügeln hallte durch
die Stadt - und das Gesumm unzähliger Fliegen.
In dicken, dunklen Wolken
standen sie über den Toten, die allerorten auf der Straße
lagen. Ich erblickte Männer und Frauen, Kinder und Greise, manchen
Edelmann, viele Bürger und Bauern, einige Bettler, auch einen Arzt in
seiner prächtigen Kleidung und zwei Franziskaner. Manche waren mitten
auf dem Weg hingesunken, das Gesicht schwarz wie Kohle, als hätte sie
der Tod in einem einzigen Augenblick umgemäht wie der Sensenmann das
Gras. Andere waren in der Bäckerei oder in der Schmiede zu Boden
gegangen und nie wieder aufgestanden. Wieder andere fand ich, die hatten
sich an Hauswände gekrümmt oder an die Pforten der Häuser
gekrallt — so, als hätten sie mit der Kraft ihrer letzten Atemzüge
verzweifelt versucht, sich in die Gebäude zu retten.
Doch wer hätte ihnen
dort noch öffnen sollen? Aus den offen stehenden Fenstern so mancher
Bürgerhäuser entquollen Wolken unzähliger Fliegen —
und wie es in den Zimmern aussah, aus denen sie kamen, das wollte ich
nicht wissen.
Schwer drohte ein Gewitter.
Es stank nach Tod und Fäulnis und süßlicher Verwesung,
dass es einem den Atem raubte. Zudem mussten irgendwo in der Stadt kleine
Brände wüten, denn ich sah dunkle, grauschwarze Qualmwolken und
feine Asche langsam durch die stickige Luft der Gassen ziehen.
So schlug ich mir denn einen
Zipfel der Kapuze meiner Kutte, die in den langen Tagen im Kerker
beschmutzt und zerrissen worden war, quer über den Mund, damit ich
nicht gar so viele schädliche Miasmen einatmen musste. Dann ging ich
weiter Richtung Seine. Doch wie kann ich mein Entsetzen beschreiben, da plötzlich
einer der Toten den Arm nach mir reckte?
Es war ein Mann, ein Bettler,
der gar nicht tot war, zumindest noch nicht ganz. Der Unglückliche
lag in seinen schwärzlichen, fauligen Ausscheidungen; Beulen überwucherten
sein Gesicht. Fliegen hatten sich schon wie ein schrecklicher Schleier auf
seinem Kopf niedergelassen. Nun, da er mit letzter Kraft den Kopf hob,
flogen sie auf und umschwirrten ihn mit wütendem Gesumm. Langsam
kroch der Kranke auf mich zu, die Rechte hatte er wie eine Klaue erhoben.
Er stöhnte vor Schmerzen, vermochte jedoch kein Wort mehr über
seine blutigen Lippen zu bringen. So flehte er mich stumm an, irgendetwas
für ihn zu tun.
Doch was hätte ich noch
zu tun vermocht? Wäre ich bei ihm geblieben, wäre ich bei jedem
Sterbenden geblieben, ich wäre wohl nie an mein Ziel gelangt. So
wandte ich mich schaudernd ab — und rannte die Straße
hinunter, so schnell ich konnte.
Ich werde mich dafür schämen
bis an das Ende meiner Tage, doch weiß ich zugleich, dass es richtig
war, was ich getan habe. Denn nicht den Sterbenden durfte an jenem Tag
meine Sorge gelten, sondern den Lebenden.
Bald gewahrte ich, dass ich
doch nicht der einzige Mensch war, der sich noch auf seinen Beinen halten
konnte. Hinter manchen Fenstern sah ich Schatten und misstrauische Augen,
die mir folgten; Fensterläden wurden plötzlich zugeschlagen, als
ich mich näherte, ich hörte, wie sich in der Türe eines Bürgerhauses
leise quietschend der Schlüssel im Schloss drehte.
Dann sah ich in den düsteren
Seitengassen Schatten: verhüllte Gestalten, ob Mann oder Weib war
schwer zu unterscheiden, welche die Türen der Gebäude aufbrachen
und Leuchter, Teppiche und silbernes Besteck davonschleppten. Andere
Schatten beugten sich gar über die entstellten Toten und Sterbenden
und raubten sie aus. Diese Verbrecher! Diese Narren! Was wollten sie
kaufen mit all dem Gold und Silber? Sicherheit vor dem Schwarzen Tod? Die
gab es nicht einmal im Königspalast! Vergebung ihrer Sünden? Als
ob der Teufel sich von irdischen Schätzen bestechen ließe! So
gaben sie denn für den Reichtum einer Stunde ihr ewiges Leben dahin.
Ich war schon ein gutes Stück meines grausigen Weges vorangekommen,
da hielt ich plötzlich inne. Musik.
Ich glaubte, dass Satan
meinen Sinnen einen Streich spielen wollte, doch als ich leise
weiterschlich, da vernahm ich, je näher ich der Seine kam, desto
deutlicher, die Töne einer Schalmei. Dazu spielte eine Laute und
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