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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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sind blind«,
     murmelte ich erschrocken.
    Jeder der Blinden schwang
     einen großen, knotigen Knüppel, mit dem er wie wild durch die
     Luft drosch. Die meisten Hiebe gingen fehl, doch manchmal sauste einer
     nieder auf das bedauernswerte Ferkel, dessen Fessel ziemlich lang war. Das
     Tier hinkte schon und blutete aus der Schnauze, doch noch war es flink
     genug, um den meisten Schlägen zu entkommen - wenn es auch durch
     Angst und Schmerz fast ähnlich blind gemacht worden war wie seine Jäger.
     Die Blinden, in ihrem Eifer, das Schwein zu treffen, versetzten auch
     einander schwere Hiebe. Es gab keinen unter den Vieren, dem nicht schon
     Blut vom Haupte floss. Immer dann, wenn einer der Blinden etwas abbekam,
     jubelte die Menge besonders laut. Nach und nach konnte ich unterscheiden,
     dass manche in der Menge diesem Blinden, andere jenem zujubelten und ihn
     anfeuerten. Doch ihr allgemeiner Lärm übertönte die Geräusche
     des Schweins und die Schritte der Blinden, sodass diese, statt von den
     Worten unterstützt zu werden, noch orientierungsloser waren.
    Meister Philippe packte mich
     am Ärmel meiner Kutte und zog mich weiter.
    »Warum tun sie das?«,
     fragte ich ihn verstört.
    »Das ist ein Spaß
     für das grobe Volk«, antwortete er düster. »Jemand
     fesselt ein Schwein und verspricht es dem Blinden, der es erschlägt.
     Also dreschen diese armen Sünder wild durch die Luft, doch verletzen
     sie sich eher gegenseitig, als dass sie das Ferkel treffen. Es ist schon
     so mancher erschlagen worden, bevor das Tier fiel. Die Menschen wetten.
     Sie setzen ihre sauer verdienten Sous lieber auf einen der Blinden, als
     sie zu sparen oder mit ihnen fromme Werke zu tun. Am Ende gewinnt immer
     nur einer: der Mann, der die Wetten organisiert.« Er deutete mit der
     Kinnspitze auf einen in Atlasseide geckenhaft aufgeputzten Mann, der von
     zwei finster dreinblickenden Hünen begleitet neben einer Truhe auf-
     und abging und noch lauter schrie als alle anderen.
    »Doch ganz am Ende
     wirst auch du verlieren«, murmelte Meister Philippe und deutete auf
     den Gecken. »Du wirst dich dermaleinst vor einem Richter
     verantworten müssen und dann wirst du wünschen, dass du dein
     Leben anders zugebracht hättest als mit Blinden und Schweinen.«
    »Verumtamen vae
     vobis divitibus quia habetis consolationem vestram. Vae vobis qui saturati
     estis quia esurietis. Vae vobis qui ridetis nunc quia lugebitis etflebitis«, murmelte ich.
    »Wie wahr«,
     antwortete Meister Philippe, während er nun rasch ausschritt. »Wo
     man auch hinblickt, heben Sünde und Verrat ihre schändlichen Häupter.
     Die Menschen wetten und trinken und liegen bei den Schönfrauen, so
     schamlos wie wohl niemals zuvor. Gerüchte gehen um vom Feuerregen im
     Osten und einem großen Sterben im Land der Muselmanen. Als ob uns
     Christen dies treffen könnte! Doch für die Sünder ist es
     bloß ein Vorwand, um sich keine Fesseln mehr anlegen zu müssen.
    Und wie sollten sie sich auch
     erhöhen, wenn selbst ihre Herren es ihnen nicht besser vormachen? Der
     König von Frankreich ist ein Feigling, seine Gattin ob ihrer
     Grausamkeit dem Volk verhasst. Und Eduard III., der König von
     England, der auch gerne der Herr Frankreichs wäre? Ein großer,
     kraftvoller Ritter ist er, fürwahr. Doch sein Vater und der Geliebte
     seiner Mutter starben keines natürlichen Todes, und nicht nur am
     englischen Hof munkelt man, dass Eduard dabei seine Hände im Spiel
     hatte. Und sicher ist, dass er vor sechs Jahren eine Gräfin schändete.
     Das ist der Mann, der unser neuer Herr werden will: ein Vergewaltiger und
     vielleicht auch ein Vatermörder! Und vom Heiligen Vater in Avignon,
     von ihm wollen wir gar nicht erst reden!«
    Der Inquisitor hatte sich in
     Rage geredet und schritt nun so energisch aus, dass ich ihm kaum zu folgen
     vermochte. 
    »Kein Menschenalter ist
     es her«, fuhr er fort, »dass die Pastorellen vor den Mauern
     Avignons zum Kreuzzug aufgerufen haben: verhetzte Bauern, angeführt
     von einem entlaufenen Mönch und einem sündigen Priester, die
     Edle angriffen, Klöster plünderten, Aussätzige töteten
     und wohl auch manchen Juden erschlugen. Am Ende wartete der Galgen auf
     sie. Dann kamen die Fraticelli aus Italien zu uns, die gegen die Kirche
     und die Ehre und die Macht predigten. 1318 ließ der Heilige Vater
     einige von ihnen in Marseille verbrennen, doch das waren nur Bauern. Wer
     aber hatte sie verhetzt? Die Franziskaner! Seit

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