In Nomine Mortis
sind blind«,
murmelte ich erschrocken.
Jeder der Blinden schwang
einen großen, knotigen Knüppel, mit dem er wie wild durch die
Luft drosch. Die meisten Hiebe gingen fehl, doch manchmal sauste einer
nieder auf das bedauernswerte Ferkel, dessen Fessel ziemlich lang war. Das
Tier hinkte schon und blutete aus der Schnauze, doch noch war es flink
genug, um den meisten Schlägen zu entkommen - wenn es auch durch
Angst und Schmerz fast ähnlich blind gemacht worden war wie seine Jäger.
Die Blinden, in ihrem Eifer, das Schwein zu treffen, versetzten auch
einander schwere Hiebe. Es gab keinen unter den Vieren, dem nicht schon
Blut vom Haupte floss. Immer dann, wenn einer der Blinden etwas abbekam,
jubelte die Menge besonders laut. Nach und nach konnte ich unterscheiden,
dass manche in der Menge diesem Blinden, andere jenem zujubelten und ihn
anfeuerten. Doch ihr allgemeiner Lärm übertönte die Geräusche
des Schweins und die Schritte der Blinden, sodass diese, statt von den
Worten unterstützt zu werden, noch orientierungsloser waren.
Meister Philippe packte mich
am Ärmel meiner Kutte und zog mich weiter.
»Warum tun sie das?«,
fragte ich ihn verstört.
»Das ist ein Spaß
für das grobe Volk«, antwortete er düster. »Jemand
fesselt ein Schwein und verspricht es dem Blinden, der es erschlägt.
Also dreschen diese armen Sünder wild durch die Luft, doch verletzen
sie sich eher gegenseitig, als dass sie das Ferkel treffen. Es ist schon
so mancher erschlagen worden, bevor das Tier fiel. Die Menschen wetten.
Sie setzen ihre sauer verdienten Sous lieber auf einen der Blinden, als
sie zu sparen oder mit ihnen fromme Werke zu tun. Am Ende gewinnt immer
nur einer: der Mann, der die Wetten organisiert.« Er deutete mit der
Kinnspitze auf einen in Atlasseide geckenhaft aufgeputzten Mann, der von
zwei finster dreinblickenden Hünen begleitet neben einer Truhe auf-
und abging und noch lauter schrie als alle anderen.
»Doch ganz am Ende
wirst auch du verlieren«, murmelte Meister Philippe und deutete auf
den Gecken. »Du wirst dich dermaleinst vor einem Richter
verantworten müssen und dann wirst du wünschen, dass du dein
Leben anders zugebracht hättest als mit Blinden und Schweinen.«
»Verumtamen vae
vobis divitibus quia habetis consolationem vestram. Vae vobis qui saturati
estis quia esurietis. Vae vobis qui ridetis nunc quia lugebitis etflebitis«, murmelte ich.
»Wie wahr«,
antwortete Meister Philippe, während er nun rasch ausschritt. »Wo
man auch hinblickt, heben Sünde und Verrat ihre schändlichen Häupter.
Die Menschen wetten und trinken und liegen bei den Schönfrauen, so
schamlos wie wohl niemals zuvor. Gerüchte gehen um vom Feuerregen im
Osten und einem großen Sterben im Land der Muselmanen. Als ob uns
Christen dies treffen könnte! Doch für die Sünder ist es
bloß ein Vorwand, um sich keine Fesseln mehr anlegen zu müssen.
Und wie sollten sie sich auch
erhöhen, wenn selbst ihre Herren es ihnen nicht besser vormachen? Der
König von Frankreich ist ein Feigling, seine Gattin ob ihrer
Grausamkeit dem Volk verhasst. Und Eduard III., der König von
England, der auch gerne der Herr Frankreichs wäre? Ein großer,
kraftvoller Ritter ist er, fürwahr. Doch sein Vater und der Geliebte
seiner Mutter starben keines natürlichen Todes, und nicht nur am
englischen Hof munkelt man, dass Eduard dabei seine Hände im Spiel
hatte. Und sicher ist, dass er vor sechs Jahren eine Gräfin schändete.
Das ist der Mann, der unser neuer Herr werden will: ein Vergewaltiger und
vielleicht auch ein Vatermörder! Und vom Heiligen Vater in Avignon,
von ihm wollen wir gar nicht erst reden!«
Der Inquisitor hatte sich in
Rage geredet und schritt nun so energisch aus, dass ich ihm kaum zu folgen
vermochte.
»Kein Menschenalter ist
es her«, fuhr er fort, »dass die Pastorellen vor den Mauern
Avignons zum Kreuzzug aufgerufen haben: verhetzte Bauern, angeführt
von einem entlaufenen Mönch und einem sündigen Priester, die
Edle angriffen, Klöster plünderten, Aussätzige töteten
und wohl auch manchen Juden erschlugen. Am Ende wartete der Galgen auf
sie. Dann kamen die Fraticelli aus Italien zu uns, die gegen die Kirche
und die Ehre und die Macht predigten. 1318 ließ der Heilige Vater
einige von ihnen in Marseille verbrennen, doch das waren nur Bauern. Wer
aber hatte sie verhetzt? Die Franziskaner! Seit
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