In Nomine Mortis
erhellt. Ein großer Tisch aus polierten Eichenbalken nahm
fast die gesamte Länge des Raumes ein, an seinen beiden Seiten stand
je eine große Bank. Etwas abseits des großen Tisches, an der
Stirnseite des Refektoriums und auf einer Empore leicht erhöht, erhob
sich ein kleinerer, feiner gearbeiteter Tisch, der von hochlehnigen Stühlen
umgeben war. Hier nahmen der Prior, der Dekan und der Probst, der
Bibliothekar sowie Meister Philippe Platz. Danach setzten wir gewöhnlichen
Mönche uns auf die Bänke. Ich fand mich am rechten Ende der
Tafel wieder, mein Nachbar war ein hünenhafter Mitbruder
unbestimmbaren Alters, denn sein Gesicht war von Pockennarben so
entstellt, dass man es kaum anzusehen wagte. Er nickte mir zu, doch sprach
er, wie alle, während der Mahlzeit kein Wort.
Ein junger Mitbruder -
derselbe, den ich eben in der Kirche aus den Evangelien hatte vorlesen
sehen - trat an ein Pult, das an der linken Längsseite des Raumes
aufgestellt war, und las während des Essens aus dem Neuen Testament.
Es war der erste Brief des Paulus an die Korinther - eine Mahnung an die
Gemeinde, stark und diszipliniert im Glauben zu sein. Ich war mir sicher,
dass der Prior diese Stelle ausgesucht hatte — aus nahe liegenden Gründen.
Denn was mochte es zwischen den Brüdern an Geflüster und
Gemunkel gegeben haben, seitdem bekannt geworden war, dass ein Dominikaner
sein Ende vor Notre-Dame gefunden hatte?
Ich brach ein Stück vom
Brot ab, das weiß war, weich und so frisch, dass es noch warm war,
und aß es mit etwas Butter. Dazu wurden Zwiebeln und gekochte Eier
gereicht und es gab Wasser, gut gekühlt aus irdenen Krügen. Später
reichte uns ein Diener - ein Laie, der zum Kloster gehörte und, wie
ich seinem Gesichtsausdruck entnehmen musste, nicht der hellste Bürger
der Stadt Paris zu sein schien - Honig und gedörrte Pflaumen.
Das Essen war gut und doch
musste ich mich zwingen, es hinunterzuschlucken. Denn nun, im Schweigen
der Mitbrüder, das von der monotonen Lesung aus dem Korintherbrief
eher verstärkt als gemildert wurde, fand mein Geist nicht länger
Ablenkung. Meine Gedanken gingen zurück zu Heinrich von Lübeck.
Und allein die Erinnerung an seinen blutigen Körper nahm mir den
Appetit. Am Ende der Mahlzeit ließ mich der Prior an seinen Tisch
rufen. Demütig stand ich auf und schritt nach vorne. Ich spürte
die Blicke der Mitbrüder, die meinen Gang verfolgten. Es schien mir
ein langer Weg zu sein, bis ich endlich vor dem erhöhten Tisch stand
und mich verneigte.
»Ich erteile dir einen
Dispens von der stabilitas loci«, verkündete mir Bruder
Carbonnet. »Du magst - allerdings nur auf Anordnung von Meister
Philippe, dem du zu dienen hast - das Kloster zu jeder beliebigen Zeit
verlassen und so lange außerhalb unserer Mauern bleiben, wie es
notwendig ist. Du magst den Gebeten und sogar der Messe fernbleiben, wenn
es denn dem Inquisitor hilft. Du magst in einer eigenen Zelle schlafen,
damit du keinen Mitbruder störst — und damit keine neugierigen
Blicke und keine neugierigen Ohren etwas von deinem Tun auffangen mögen.
Dies alles gilt so lange, bis ihr den Frevler gefunden habt, der unseren
geliebten Bruder Heinrich von Lübeck gemeuchelt hat.«
Der Prior hatte so laut
gesprochen, dass seine Stimme im ganzen Refektorium gut zu vernehmen
gewesen war.
»Ehrwürdiger
Vater, ich danke dir«, antwortete ich und bemühte mich, meiner
Stimme einen ähnlich festen Klang zu geben, allerdings vergebens.
*
So fand ich mich denn bald
darauf allein in einer Zelle, die so schmal war, dass ich mit
ausgestreckten Armen beide Seitenwände zugleich berühren konnte.
Durch ein winziges, vergittertes Fenster schien das fahle Mondlicht
herein. Eine Pritsche stand in dem Raum, daneben erhob sich eine Truhe,
die zugleich als Sitz, Tisch und Altar dienen mochte. Ein schlichtes Kreuz
aus zwei mit Lederriemen verbundenen Stöcken war der einzige Schmuck
der dunklen, unverputzten Steinwände.
Ich warf mich auf die
Pritsche, stolz und unzufrieden zugleich. Stolz, weil ich vom Prior so
hervorgehoben worden war und weiterhin an der Suche nach dem Sünder
teilhaben durfte. Offensichtlich hatte Meister Philippe mit Bruder
Carbonnet über mich gesprochen und mein Tun für immerhin
bedeutungsvoll genug gehalten, dass er mir weitere Hilfe zugetraut hatte.
Unzufrieden war ich
allerdings auch, denn nun war ich
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