Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
Vom Netzwerk:
Schaulustigen anzieht. Dass die Gegenwart zweier
     Dominikaner, in denen jeder Inquisitoren vermuten musste, alle Neugierigen
     vertrieben hatte, war mir zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst. So blickte
     ich, betrübt, jedoch ungestört, auf den verstorbenen Bruder,
     dessen sterbliche Hülle nun aus dem Schatten von Notre-Dame
     fortgetragen wurde. »Was mag terra perioeci bedeuten?«, murmelte ich.
     »Der Begriff bezieht sich auf ein Volk aus alter Zeit«,
     antwortete Meister Philippe. »Heiden. Griechen, soweit ich mich
     erinnern kann. Ich glaube, Aristoteles erwähnt sie wiederholt in
     seiner ›Ethik‹. Sie mögen auch bei Herodot und anderen
     der alten Gelehrten erwähnt sein, doch entsinne ich mich nicht mehr
     des Wortlauts dieser Texte. Ich kenne allerdings kein Land der
     Christenheit - oder eines jenseits davon —, das so genannt wird.«
    »Es muss eine
     geheimnisvolle Bedeutung haben, sonst hätte Heinrich von Lübeck
     es nicht mit sterbender Hand niedergeschrieben«, sagte ich.
    »Es mag ein Bild sein,
     das für etwas ganz anderes steht, als die Worte zu beschreiben
     scheinen. So wie wir manchmal von Avignon sprechen, obwohl wir doch Seine
     Heiligkeit, den Papst, meinen. Der Ort, an dem unser Oberhaupt thront,
     wird zum symbolischen Namen für ihn selbst«, antwortete mir der
     Inquisitor sinnend. »Es mag ein Hinweis sein auf das ferne Land der
     Griechen, das dem Kaiser von Byzanz Untertan ist. Oder es mag ein Symbol für
     irgendetwas sein, das aus der heidnischen Zeit auf uns gekommen ist.«
    Meine Seele wurde leichter,
     denn plötzlich schien mir Meister Philippe die dunklen Spuren zu
     deuten, wie ein großer Doktor der Theologie manch dunkle Stelle der
     Heiligen Schrift zu deuten versteht und damit den Glauben der Christen
     leuchten lässt. »Oder es ist ein Hinweis auf einen Mann, der
     sich mit dem Studium der Alten beschäftigt. Wir sind in Paris:
     Nirgendwo auf der Welt leben so viele Gelehrte wie hier«, rief ich
     eifrig.
    Der Inquisitor lächelte
     mitleidig. »Wenn dies so ist, mein junger Freund, dann hat uns der
     arme Heinrich von Lübeck einen reichlich unklaren Hinweis
     hinterlassen. Jeder Gelehrte hier, selbst der jüngste Student, wird
     mindestens einmal den Aristoteles gelesen haben müssen. Er ist fester
     Bestandteil des              
    curriculum. Wir hätten mehr Verdächtige,
     als uns lieb sein kann.« 
    Er schwieg lange, dann schüttelte
     er den Kopf. »Nein, vorerst müssen wir es mit dem seltsamen
     Begriff auf sich beruhen lassen. Er führt uns momentan nicht weiter.
     Mag sein, dass wir später eine Spur finden werden, die wieder an die terra perioeci anknüpft. Wir werden jedoch
     erst einmal einen anderen Weg gehen, den uns unser toter Mitbruder
     gewiesen hat.
    Unsere bisherigen Hinweise
     tragen die Aufschriften ›Deutschland‹ und ›Kaufmann‹.
     Denn dass er aus deutschen Landen kam, ist unbestritten, und dass sein
     Geld«, hier wog er den Lederbeutel bedeutungsvoll in der Hand,
     »nicht aus einer Truhe unseres Ordens, sondern eher von einem vermögenden
     Händler stammt, ist zumindest eine nicht unwahrscheinliche Hypothese.«
    Ich nickte stumm, da mir auch
     nichts Besseres einfiel. »Lasst uns doch einmal in die Kirche gehen,
     Meister Philippe«, bat ich. »Heinrich von Lübeck wurde
     vor Notre-Dame erstochen. Vielleicht war er zuvor in der Kathedrale und
     hat dort schon seinen Mörder gesehen. Mag sein, dass wir im Hause
     GOTTES etwas finden - auch wenn ich nicht einmal weiß, wonach wir
     suchen müssen.«
    Der Inquisitor dachte kurz
     nach, dann nickte er. »Ich wüsste zwar nicht, was wir entdecken
     könnten - doch schaden kann es bestimmt nicht, mit offenen Augen
     durch Notre-Dame zu gehen.«
    Wir schritten durch die Porte
     Rouge und ich blieb stehen, bis sich meine Augen an das Halbdunkel im
     Kircheninnern gewöhnt hatten. Die letzten Strahlen der Sonne fluteten
     durch die große Rosette, die zwischen den Türmen prunkte. Gold
     und rot und blau brach sich ihr Licht und wehte gleich Schleiern aus einer
     anderen Welt durch das Haus GOTTES.
    »Wer könnte es
     wagen, hier auch nur an eine Sünde zu denken, geschweige denn, sie
     auszuführen!«, flüsterte ich überwältigt. Der
     Inquisitor warf mir einen mitleidigen Blick zu. »Junger Freund«,
     antwortete er, »die Macht Satans reicht nicht in den Himmel, doch
     sie reicht bis in die Kirchen. Denn selbst die prächtigste Kathedrale
     ist letztlich doch nur

Weitere Kostenlose Bücher