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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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Menschenwerk.«
    Wir schlenderten am Kranz der
     Kapellen vorbei, die links von der Porte Rouge den Chor umgaben und die
     vom tief stehenden, farbigen Licht kaum noch liebkost wurden. Sie glichen
     Höhlen, die von Menschen noch vor der Zeit der Sintflut in den Fels
     hineingemeißelt wurden.
    Als ich diesen Gedanken erwähnte,
     da lächelte Meister Philippe. »Und doch sind sie keine zwanzig
     Jahre alt. Die Meister Pierre de Chelles und Jean Ravy haben sie entworfen
     und gebaut und beide weilen noch unter den Lebenden von Paris. Heilige
     Orte haben sie geschaffen, mögen sie dermaleinst im Angesicht des
     HERRN dafür belohnt werden.
    Doch kaum war ihr Kranz aus
     Kapellen vollendet, da fanden sich außen, im Wald der Streben,
     Pfeiler und kühnen Bögen, in den Winkeln, Erkern und unter den
     Vorsprüngen Schönfrauen ein, um in diesen Verstecken ihr
     frevlerisches Tun auszuüben. Ich würde mich nicht wundern, wenn
     Jacquette, das Täubchen, das nicht einmal seinen Namen lesen kann,
     den Grundriss dieser Kathedrale besser kennt als so mancher Kanoniker.«
    »Zumindest ein
     Kanoniker dürfte ihr in diesem Wissen gleichkommen«, entgegnete
     ich unbesonnen, dann senkte ich schnell demütig den Blick. »Verzeiht
     meine Respektlosigkeit, Meister Philippe.« Doch mein Mitbruder
     segnete mich, zu meiner nicht geringen Überraschung. »Spott«,
     antwortete er, »ist eine gute Waffe des Inquisitors. Nur wer die
     Scheu ablegt, allen Menschen und Dingen ins Gesicht zu sehen, der wird auf
     den Grund eines jeden Geheimnisses kommen- und Spott hilft uns dabei, den
     falschen Respekt, der unsere Gedanken zu vernebeln vermag wie Rauch eines
     nassen Feuers, aus unseren Herzen zu vertreiben. So spotte nicht im
     Angesicht der Kanoniker über einen der ihren, denn das geziemt sich
     nicht. Doch mir gegenüber lege dir keine Zügel an. Ich erlaube
     dir jedes respektlose Wort, ja ich fordere es. Ich habe nur eine
     Bedingung.« Er lächelte mich an. »Es darf nicht dumm
     sein.«
    Ich nickte dankbar. Wir
     gingen durch das gewaltige Kirchenschiff, in dem sich nur noch wenige Gläubige
     aufhielten. »Zu so später Stunde, gestern in der Nacht, hätte
     Heinrich von Lübeck das Kloster gar nicht mehr verlassen dürfen«,
     murmelte ich. »Ich habe den Portarius gefragt, gleich nachdem ich
     von dem Mord erfahren habe«, antwortete der Inquisitor. »Heinrich
     von Lübeck hat gestern schon bei der Vesper gefehlt. Niemand weiß,
     wann genau und wie er verschwunden ist. Er muss in nachmittäglicher
     Stunde unser Haus an der Rue Saint Jacques verlassen haben. Seither
     scheint ihn kein Mensch mehr gesehen zu haben — zumindest keiner
     unserer Mitbrüder.«
    Wir näherten uns dem
     gewaltigen Portal in der Westfassade von Notre-Dame — jenem Portal
     unter der Rosette, durch die das letzte Licht hineinströmte.
    »Ich würde gar zu
     gerne einen der Türme besteigen, um einen Blick auf Paris zu werfen«,
     sagte ich hoffnungsvoll.
    Meister Philippe hob
     bedauernd die Hände. »Die Glöckner haben die Pforten zu
     beiden Türmen schon verschlossen«, erklärte er mir.
     »Doch werden wir an einem der nächsten Tage sicher einmal Zeit
     finden, den mühseligen Weg nach oben zu gehen. Doch nun lass uns
     eilen, damit wir wenigstens noch zum letzten Gebet der Vesper im Kloster
     sind.« 
    Wir schritten hinaus. So sehr
     mich das Haus GOTTES beeindruckt hatte, ich hatte nichts entdeckt, das mir
     irgendeinen Hinweis darauf gegeben hätte, ob — und wenn ja:
     warum — Heinrich von Lübeck in den letzten Stunden seines
     Lebens hier gewandelt sein könnte.
    Nachdem wir die Seine überquert
     hatten, fanden wir uns plötzlich bedrängt von einer
     Menschenmenge. Wir schoben uns durch die Masse schmutziger, schwitzender
     Leiber, was mir unrein dünkte, denn am liebsten hätte ich
     niemanden berührt, doch wäre ich dann keinen Schritt
     vorangekommen. So nahm ich mir denn ein Beispiel an Meister Philippe, der
     sich unbekümmert seinen Weg bahnte. Die Menschen achteten nicht auf
     uns, sondern starrten auf einen kleinen Platz vor einer Kirche, fast
     direkt gegenüber dem Petit Pont, über den wir soeben geschritten
     waren. Viele schrien oder lachten, ich hörte Hohnworte und
     Schlimmeres.
    Endlich sah ich, was die
     Menschen so belustigte: Jemand hatte ein Ferkel an einen Pfahl gebunden,
     der mitten auf dem Platz stand. In einem wilden Reigen torkelten vier Männer
     um das ängstlich quiekende kleine Schwein. »Sie

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