In Nomine Mortis
die Seine gegen die Strömung hochzuziehen. Und ich weiß
nicht, ob sie, sollte sie wirklich einmal beladen werden, nicht zu
tiefliegt, um ihren Weg stromab bis zum Meer zu machen.
Ganz sicher muss sich Richard
Helmstede eilen, denn im Spätsommer wird das Wasser des Flusses so
weit fallen, dass er selbst ein leeres Schiff nicht mehr hinausbekommt.
Ganz zu schweigen davon, dass er irgendwie an den Englischen und
Burgundischen vorbei muss, welche die Gegend zwischen Paris und der Küste
heimsuchen.« Meister Philippe hatte ihm aufmerksam zugehört.
»Wisst Ihr, aus welcher Stadt dieser Richard Helmstede stammt?«,
fragte er. »Aus Lübeck«, antwortete der Gildenmeister.
*
Wir wechselten noch einige höfliche
Worte mit Andre d'Epernon, obwohl ich darauf brannte, aus dem Maison aux
Piliers zu stürzen, über den Platz zu eilen und das
geheimnisvolle Schiff zu entern wie ein sarazenischer Pirat. Doch selbst
nachdem wir das Haus der Flussschiffergilde verlassen hatten, gab mir
Meister Philippe eine Lektion in Geduld und Demut.
»Es ist die Zeit der
Sext«, sagte er und blickte gen Himmel. »Wir wollen das Gebet
nicht vergessen.«
Mir blieb nichts anderes
übrig, ich musste mich fügen. Wir gingen ein paar Schritte, die
Seine zu unserer Rechten, am Ufer entlang. Sehnsüchtig blickte ich
auf den Wald der Masten, in dessen Mitte einer besonders groß
aufragte, wie eine uralte Eiche in einem Wald dünner, schlanker
Birken.
An diesem Mittag zur zwölften
Stunde geschah es — ich gestehe es beschämt —, dass ich
zum ersten Mal in meinem Leben mit Widerwillen in das Haus GOTTES eintrat.
Saint-Gervais-et-Protais war eine kleine Kirche am Ufer der Seine, doch
sah man schon von weitem, dass ihre Gemeinde wohlhabend sein musste.
Skulpturen der Mutter GOTTES und der Namenspatrone schmückten das
Portal und ein schlanker Turm ragte hoch in den Himmel hinauf und sein
kupferbeschlagenes Dach funkelte rotgolden in der Frühlingssonne.
»Es ist die Kirche der
Weinhändler«, erklärte mir Philippe de Touloubre
schmunzelnd, als ob er meine Gedanken erraten hatte. »Es gibt ein
Sprichwort in Paris: ›Je mehr die Leute trinken, desto heller
erstrahlen die Kerzen in Saint-Gervais-et-Protais‹. Falsch ist es
nicht.« Und in der Tat: Im Innern flackerten Hunderte Kerzen, deren
gelber und roter Lichtschein das Kirchenschiff erstrahlen ließ wie
einen Märchenpalast. Ich schämte mich meines Widerwillens,
bekreuzigte mich und kniete nieder, um IHM, der alles erschaffen hat, zu
danken. Wir sangen drei Psalmen und hörten eine Stelle aus dem
Johannes-Evangelium, die ein junger, rotgesichtiger Priester vortrug. Der
Geistliche war des Lateinischen so wenig mächtig, dass ich
Schwierigkeiten hatte, seine Worte zu verstehen.
Nach einem weiteren Hymnus
segnete er uns und sprach das Abschlussgebet. Neben uns hatten sich nur
ein paar feiste Weinhändler in die Bänke gezwängt und
einige verschleierte Frauen — Witwen, vermutete ich. Ich spürte
die Blicke der Gläubigen in meinem Rücken, die sich wohl ängstlich
fragten, was zwei Dominikaner in Saint-Gervais-et-Protais zu suchen
hatten.
Endlich durften wir uns
erheben und die Kirche verlassen. Mir schien es eine Ewigkeit gedauert zu
haben, doch selbstverständlich war es nur eine ganz gewöhnliche
Sext.
»Und nun: Klar zum
Entern des Schiffes!«, sagte Philippe de Touloubre spöttisch.
Ich wurde rot, verbarg mein
Gesicht im Dunkel meiner Kapuze und versuchte, würdevoll
dahinzuschreiten, wie es sich geziemte. »Verzeiht Meister. Es kommt
mich hart an, meine Leidenschaft für dieses Rätsel zu zügeln«,
antwortete ich demütig. Philippe de Touloubre lachte. »So lange
es nur diese Leidenschaft ist, will ich dir gerne vergeben«,
erwiderte der Inquisitor. An der Place de Greve betraten wir die hölzernen
Kais, die Fingern gleich in den Strom ragten. Ihre dicken Planken
zitterten unter den Schritten unzähliger Träger, die, mit Säcken
und Kisten beladen, unablässig von den Pinassen zu den Lagerhäusern
und zurückliefen. Doch die Männer machten uns respektvoll Platz,
als wir uns der geheimnisvollen Kogge näherten. Der Segler lag am größten
Kai ganz außen, nur ein paar Schritte stromauf überspannte der
Grand Pont den Fluss.
Eine wenig vertrauenswürdig
aussehende Planke führte vom Kai aus die vor uns aufragende Bordwand
hinauf. Philippe de Touloubre
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