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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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Reden zu erleben, von denen der Inquisitor und
     der Prévôt royal gesprochen hatten. Doch dann erblickte ich
     einen Galgen, der aus ein paar rohen Balken schief und schlecht
     zusammengezimmert worden war. Zwei Henkersknechte zerrten einen jungen,
     abgerissenen Burschen zur Richtstatt. Die Leute pfiffen und riefen ihm
     Schmähworte und Verwünschungen zu; zwei oder drei schleuderten
     sogar Kohlstrünke und Kot, ein Stein traf den Jungen am Kopf. Er
     taumelte benommen, Blut floss über seine Stirn und die Menge grölte.
    Wir erfuhren von
     Schaulustigen, dass der Verurteilte am Tage zuvor auf einem der an den
     Kais vertäuten Seineschiffen aufgespürt worden war, wie er
     gerade die Wämser der Matrosen in deren Verschlag durchwühlte.
    »Zehn Sous hat man in
     seiner Tasche gefunden!«, rief uns ein älterer Mann erregt zu,
     und eine Frau, vielleicht seine Gattin, kreischte: »Seit Tagen
     verschwinden hier Geldstücke, Kupfernägel und andere Sachen. Das
     war dieser Kerl, nur kann es ihm niemand mehr beweisen.« Dann erst
     schien sie unseren Mönchshabit zu bemerken. Die alte Vettel
     bekreuzigte sich, deutete eine Verbeugung an und murmelte: »Doch
     GOTT in SEINER Gnade hat uns Gerechtigkeit widerfahren lassen.«
    » Vae autem vobis
     scribae et Pharisaei hypocritae«, antwortete Philippe de Touloubre würdevoll.
     Die alte Frau, die kein Latein verstand und deshalb nicht wusste, dass der
     Spruch auf sie gemünzt war, schlug ein zweites Mal das Kreuz über
     ihrer Brust.
    Wir blieben stehen, um den
     Dieb sterben zu sehen. Die Henkersknechte hatten nun weniger Mühe mit
     ihm, da ihn der Stein offenbar betäubt hatte. Taumelnd ließ er
     sich die letzten Schritte zum Galgen zerren, wo er auf eine Kiste steigen
     musste. Dort legte ihm der in Scharlach gekleidete Henker die Schlinge um
     den Hals. Dann trat er die Kiste weg.
    Der Bursche fiel ein Stück
     nach unten, die Menge schrie erwartungsvoll auf - doch der Henker hatte
     das Seil zu lang bemessen. Der Verurteilte traf auf den Boden auf, wo er,
     halb ohnmächtig vor Schreck und Schmerz, auf dem schmutzigen Pflaster
     zusammensank.
    Die Frauen und Männer
     verhöhnten den Henker, der sich nun ebenfalls vor Schmutz und Steinen
     ducken musste, die auf ihn niedersausten. Eilig rissen die Henkersknechte
     den Bursche wieder hoch, während ihr Meister das Seil mit drei großen
     Knoten verkürzte. Dann stießen sie den Unglücklichen ein
     zweites Mal ins Nichts. Wieder stürzte der Dieb nach unten —
     und diesmal zitterten seine Füße, nur eine Handbreit über
     dem Pflaster, in der Luft. Doch der Schwung hatte nicht ausgereicht, ihm
     das Genick zu brechen. So hing er nun in der Schlinge, das Gesicht zuerst
     blass, dann rot, dann blau, und würgte und spuckte. Einige Zuschauer
     verhöhnten den Henker erneut, da sie ihn für einen Stümper
     befanden. Andere hingegen lobten seine Kunstfertigkeit, dem Sünder
     den Übergang in GOTTES Reich nicht gar zu leicht und schmerzlos zu
     machen. So hing der Bursche wohl so lange am Galgen, wie es dauert, einen
     Psalm zu singen, und konnte nicht sterben. Urin und Kot troffen ihm aus
     den Hosenbeinen, rannen an seinen zuckenden Füßen herab, und
     sammelten sich unter ihm auf dem Pflaster. Erst nach einer kleinen
     Ewigkeit wurden seine Bewegungen schwächer, seine Augenlider
     flatterten, dann verdrehte er seine Pupillen zur Todesfratze. Endlich
     baumelte er im Wind, ruhig und erlöst.
    »Wir wollen uns nun
     eilen«, sagte der Inquisitor und schlug das Kreuz.
    Wir drängten uns vorwärts.
     Zu unserer Rechten öffnete sich der Platz zu den Kais der Seine, doch
     wir wandten uns nach links, wo eine Reihe mächtiger Gebäude
     stand, welche die Place de Greve flankierten. Aus dieser Reihe stach ein
     Haus hervor wie ein König aus dem Kreis seiner Ritter: das Maison aux
     Piliers. Es trug seinen Namen zu Recht, denn wahrhaftig schmückten Säulen
     die Fassade, stützten Gesimse und Balkons, hoben sie fast so hoch wie
     die Pfeiler, die in unseren größten Kirchen gen Himmel streben.
     Wahrhaftig, den Ratsherren gebrach es nicht an Selbstbewusstsein, dass sie
     sich ein Haus bauten, das mit dem GOTTES wetteifern konnte. Hier wurde
     nicht SEIN Name verherrlicht, sondern hier wurde dem Geld und dem Geschäft
     gehuldigt. Nicht in Gebet und Hymnus erging sich hier die Andacht, sondern
     in Verhandlung und Niederschrift: Allenthalben erblickten wir, nachdem wir
     eingetreten waren, Händler, welche sich

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