In Nomine Mortis
Reden zu erleben, von denen der Inquisitor und
der Prévôt royal gesprochen hatten. Doch dann erblickte ich
einen Galgen, der aus ein paar rohen Balken schief und schlecht
zusammengezimmert worden war. Zwei Henkersknechte zerrten einen jungen,
abgerissenen Burschen zur Richtstatt. Die Leute pfiffen und riefen ihm
Schmähworte und Verwünschungen zu; zwei oder drei schleuderten
sogar Kohlstrünke und Kot, ein Stein traf den Jungen am Kopf. Er
taumelte benommen, Blut floss über seine Stirn und die Menge grölte.
Wir erfuhren von
Schaulustigen, dass der Verurteilte am Tage zuvor auf einem der an den
Kais vertäuten Seineschiffen aufgespürt worden war, wie er
gerade die Wämser der Matrosen in deren Verschlag durchwühlte.
»Zehn Sous hat man in
seiner Tasche gefunden!«, rief uns ein älterer Mann erregt zu,
und eine Frau, vielleicht seine Gattin, kreischte: »Seit Tagen
verschwinden hier Geldstücke, Kupfernägel und andere Sachen. Das
war dieser Kerl, nur kann es ihm niemand mehr beweisen.« Dann erst
schien sie unseren Mönchshabit zu bemerken. Die alte Vettel
bekreuzigte sich, deutete eine Verbeugung an und murmelte: »Doch
GOTT in SEINER Gnade hat uns Gerechtigkeit widerfahren lassen.«
» Vae autem vobis
scribae et Pharisaei hypocritae«, antwortete Philippe de Touloubre würdevoll.
Die alte Frau, die kein Latein verstand und deshalb nicht wusste, dass der
Spruch auf sie gemünzt war, schlug ein zweites Mal das Kreuz über
ihrer Brust.
Wir blieben stehen, um den
Dieb sterben zu sehen. Die Henkersknechte hatten nun weniger Mühe mit
ihm, da ihn der Stein offenbar betäubt hatte. Taumelnd ließ er
sich die letzten Schritte zum Galgen zerren, wo er auf eine Kiste steigen
musste. Dort legte ihm der in Scharlach gekleidete Henker die Schlinge um
den Hals. Dann trat er die Kiste weg.
Der Bursche fiel ein Stück
nach unten, die Menge schrie erwartungsvoll auf - doch der Henker hatte
das Seil zu lang bemessen. Der Verurteilte traf auf den Boden auf, wo er,
halb ohnmächtig vor Schreck und Schmerz, auf dem schmutzigen Pflaster
zusammensank.
Die Frauen und Männer
verhöhnten den Henker, der sich nun ebenfalls vor Schmutz und Steinen
ducken musste, die auf ihn niedersausten. Eilig rissen die Henkersknechte
den Bursche wieder hoch, während ihr Meister das Seil mit drei großen
Knoten verkürzte. Dann stießen sie den Unglücklichen ein
zweites Mal ins Nichts. Wieder stürzte der Dieb nach unten —
und diesmal zitterten seine Füße, nur eine Handbreit über
dem Pflaster, in der Luft. Doch der Schwung hatte nicht ausgereicht, ihm
das Genick zu brechen. So hing er nun in der Schlinge, das Gesicht zuerst
blass, dann rot, dann blau, und würgte und spuckte. Einige Zuschauer
verhöhnten den Henker erneut, da sie ihn für einen Stümper
befanden. Andere hingegen lobten seine Kunstfertigkeit, dem Sünder
den Übergang in GOTTES Reich nicht gar zu leicht und schmerzlos zu
machen. So hing der Bursche wohl so lange am Galgen, wie es dauert, einen
Psalm zu singen, und konnte nicht sterben. Urin und Kot troffen ihm aus
den Hosenbeinen, rannen an seinen zuckenden Füßen herab, und
sammelten sich unter ihm auf dem Pflaster. Erst nach einer kleinen
Ewigkeit wurden seine Bewegungen schwächer, seine Augenlider
flatterten, dann verdrehte er seine Pupillen zur Todesfratze. Endlich
baumelte er im Wind, ruhig und erlöst.
»Wir wollen uns nun
eilen«, sagte der Inquisitor und schlug das Kreuz.
Wir drängten uns vorwärts.
Zu unserer Rechten öffnete sich der Platz zu den Kais der Seine, doch
wir wandten uns nach links, wo eine Reihe mächtiger Gebäude
stand, welche die Place de Greve flankierten. Aus dieser Reihe stach ein
Haus hervor wie ein König aus dem Kreis seiner Ritter: das Maison aux
Piliers. Es trug seinen Namen zu Recht, denn wahrhaftig schmückten Säulen
die Fassade, stützten Gesimse und Balkons, hoben sie fast so hoch wie
die Pfeiler, die in unseren größten Kirchen gen Himmel streben.
Wahrhaftig, den Ratsherren gebrach es nicht an Selbstbewusstsein, dass sie
sich ein Haus bauten, das mit dem GOTTES wetteifern konnte. Hier wurde
nicht SEIN Name verherrlicht, sondern hier wurde dem Geld und dem Geschäft
gehuldigt. Nicht in Gebet und Hymnus erging sich hier die Andacht, sondern
in Verhandlung und Niederschrift: Allenthalben erblickten wir, nachdem wir
eingetreten waren, Händler, welche sich
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