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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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hier?«,
     fragte er. Seine Stimme war tief, sein Dialekt verriet, dass er aus dem
     Norden Frankreichs kam. Dann erkannte er die Kutten unter unseren Umhängen.
     Sofort ließ er den Knüppel sinken und stieß einen
     schrillen Pfiff aus — ob als Warnung an die anderen Vaganten oder um
     noch versteckten Männern ein Zeichen zu geben, dass sie nicht
     losschlagen sollten, vermochte ich nicht zu sagen.
    »Wo finde ich Pierre de
     Grande-Rue?«, herrschte Meister Philippe den Mann an.
    Wenn dieser überrascht
     war, dass zwei Dominikaner ohne Erklärung, ja ohne Begrüßung
     oder Segenswunsch, sondern nur mit harschen Worten nach einem Vaganten
     verlangten, dann ließ er sich dies nicht anmerken. Der Mann hob und
     senkte die Schultern, was ich als Geste der Ahnungslosigkeit oder aber
     auch der Gleichgültigkeit deuten konnte.
    »Das weiß ich
     nicht, Ihr Herren. Bei uns findet Ihr ihn jedenfalls nicht.«
    Meister Philippe sah aus, als
     wollte er im Zorn einen schrecklichen Fluch aussprechen, doch er bezwang
     sich mühsam. »Ihr seid doch Vaganten. Haust er nicht hier?«
    Der Mann schüttelte den
     Kopf. »Wir sind Spielleute aus Le Mans und ziehen durch Frankreich,
     so lange ich zurückdenken kann und noch viel länger, denn schon
     unsere Eltern und deren Eltern sind Spielleute gewesen. Wir spielen die
     Harfe, die Laute und die Fidel zum Tanz und wohl auch zu geistlichen
     Festen. Wir haben Hunde und Affen, die tolle Kunststücke vollbringen.
     Jongleure sind wir, Seiltänzer, Marionettenspieler und Messerwerfer.
     Aber«, und hier schüttelte der Mann den Kopf, »Bürger
     von Paris sind wir nicht. Ich habe Pierre de Grande-Rue schon ein paar Mal
     gesehen, in dieser Stadt und anderswo. Doch ich kenne ihn nicht gut. Er
     gehört einer anderen Truppe Vaganten an oder vielleicht ist er auch
     ein Einzelgänger, ich weiß es nicht.«
    »Wann hast du ihn zum
     letzten Mal getroffen?«, fragte der Inquisitor. Der Mann drehte sich
     halb nach hinten um. »He, Guillaume«, rief er in den Nebel,
     »wann haben wir das letzte Mal Pierre de Grande-Rue gesehen?«
    »Am Ende des Winters«,
     kam von irgendwoher die Antwort. »Das mag einen Monat her sein oder
     auch mehr. Wir waren alle in der ›Roten Hand‹. Das große
     Fest, du weißt schon.«
    Der Mann lachte in plötzlich
     aufkommender Erinnerung. »Ja, in der Tat. Nun, Ihr Herren, verzeiht,
     dass ich Euch nur so wenig sagen kann.« Er bot nicht an, sich für
     uns umzuhören.
    Meister Philippe nickte.
     »Messerwerfer gehören auch zu deiner Gruppe, Spielmann?«,
     fragte er.
    Der Mann verzog den Mund zu
     einem angedeuteten Lächeln. »Ja, Herr. Ich bin der beste
     Messerwerfer hier. Haltet ein kleines Brot hoch und auf zehn Schritte
     Entfernung und wohl auch auf zwanzig vermag ich den Laib zwischen Euren
     Fingern zu treffen, ohne Euch die Haut auch nur zu ritzen.«
    »Ist dies auch eine
     Kunstfertigkeit, die Pierre de Grande-Rue beherrscht?«, wollte
     Meister Philippe wissen.
    Jetzt lachte der Vagant.
     »Und ob! An jenem Tag in der ›Roten Hand‹ traten dreißig
     Mann zum Messerwerfen an. Es gab einen Krug Burgunder zu gewinnen —
     und ich schmeckte ihn schon auf meinen Lippen, das darf ich Euch sagen!
     Doch ich war, wie sich herausstellte, nur der zweitbeste Messerwerfer in
     der Taverne. Und nun ratet, wer als Einziger mit noch sichererer Hand warf
     als ich!«
    *
    An jenem Abend lag ich müde
     auf meiner Pritsche und konnte doch keinen Schlaf finden. Wir waren noch
     rechtzeitig zurückgekehrt, um mit unseren Brüdern eine Messe zu
     feiern für Heinrich von Lübeck. Anschließend hatten wir,
     noch schweigsamer als sonst, ein karges Abendmahl eingenommen.
    »Salvandorum
     paucitas, damnandorum multitudo«, sagte der Inquisitor zum Abschied.
     Wenige Worte nur waren es, die er an diesem Tag an mich gerichtet hatte,
     und diese waren düster. So lag ich denn da, starrte mit offenen Augen
     ins Dunkle und grübelte. Sollte Pierre de Grande-Rue meinen Mitbruder
     vielleicht nicht nur bestohlen, sondern auch umgebracht haben? Geschickt
     mit dem Messer schien er zu sein. Doch wie mochte er Heinrich von Lübeck
     kennen gelernt haben? Oder waren sie sich nur zufällig begegnet? Und
     warum sollte der Vagant, wenn er denn ein berüchtigter Dieb war,
     ausgerechnet die Münzen des Mönches verschmäht haben? Oder
     sollten wir in Wahrheit nur glauben, dass er sie übersehen hatte?
     Wenn er sie jedoch gesehen und nicht genommen hatte — was hatte

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