In Santiago sehen wir uns wieder
das Licht, am Licht entlang, und ist doch Struktur und Ordnung. Es ist kochend heiß, als ich aus der Kathedrale trete.
Pamplona - Eunate –Obanos
Montag, 23. Juni
Um 9 Uhr ist mein Paket mit dem überflüssigen Ballast bei der Post abgegeben. Kurze Zeit später sitze ich im Bus nach Puente la Reina. Kaffee, Skizzen von der Brücke, neue Badeschuhe - die alten lasse ich in der Herberge stehen. In der Gluthitze marschiere ich zu Fuß nach Eunate. Ich bin angekommen.
»Zieh deine Schuhe aus«, sagte die Stimme, als ich den letzten Schluck Wasser trank. »Barfuß musst du gehen.« Ich trat unter die Kuppel und legte meine Schwere ab. »Jetzt tauch hinunter, steig in den Fluss. Lass deine Angst hinter dir«, sagte die Stimme. Die Wasser rauschten und gurgelten, aber ich watete hinein in die Flut. Der Fährmann ergriff mich und setzte mich auf das Floß. Ich stand vor dem Goldenen Tor. Es war verschlossen. »Such den Schlüssel«, sagte die Stimme. »Der Schlüssel, der Schlüssel, wo ist der goldene Schlüssel zum Goldenen Tor?« - »Nimm die Muschel und geh«, sagte die Stimme. »Der Weg ist der Schlüssel zum Goldenen Tor.« »Ich bin noch so am Anfang«, sagte ich und schaute aus dem Fenster. Es donnerte und blitzte, die windige Luft wurde gelb. Ich warf meinen Schatten hinter mich und betrat den Weg zum Tor vor der Stadt. Der Regen wusch meine Füße rein.
»Was ist ein Wunder?« fragt Cornelisz aus Amsterdam. »Die Deutschen sagen zu allem >wunderbar<.« Ich: »Es ist ein Geschenk, dass ich hier bin und ankommen darf.« - »Es ist ein Wunder, dass du hier bist! Wer macht das schon, nach Eunate zu Fuß aus Puente la Reina zurückzulaufen!«
Der Camino, das ist auch nach Eunate zurückzukehren. Vor elf Jahren war ich schon einmal hier. Damals war ich deprimiert und erschöpft. Lange saß ich in der Kirche. Plötzlich sah ich mich am Rande eines sechseckigen Brunnenschachts, durch den ich tief hinuntersank in eine Welt voller Wasser. Styx, Hades, Unterwelt... Heute, elf Jahre später, sitze ich unter der Kuppel und sehe mich am Rande eines sechseckigen Brunnenschachts. »Du hast die Botschaft vernommen«, sagt Cornelisz, »die Kirche ist dem Heiligen Grab nachgebaut. Du gehst in die Tiefe und findest IHN.« Eunate, das Geheimnis, das Mysterium. »Von den Templern erbaut«, sagt Marina aus Kanada. »Wer weiß? Nichts ist sicher«, sagt der deutsche Touristenführer. Es ist still an diesem Abend in Obanos, der letzten Station des aragonesischen Weges. Dann stehe ich vor einem Haus. Es kommt mir bekannt vor. Ich klopfe an, eine Frau öffnet: »Herzlich willkommen, Bella, ein Glas Tee, eisgekühlt. Setz dich nieder.« Ich bin angekommen. Dann wäscht mir die Frau die brennenden Füße, trocknet sie sanft mit einem weichen Tuch. »Mein Haus ist dein Haus.« Ich weine. »Ich weiß, was es heißt, den Camino zu pilgern. Du gehst und gehst...« - »Ich bin noch so am Anfang«, sage ich und wache nach einem tiefen Schlaf gestärkt auf. »Du hast die Botschaft vernommen«, sagt Cornelisz. »Hier ist der Eingang, du weißt es seit langem, und vor dir liegen 700 Kilometer Wunder!«
Auf der Suche nach dem Weg
❖❖❖
Der Weg zu sich selbst ist hart.
Alle, die sagen, es ist leicht, lügen.
Sich zu trennen von alten Dingen, tut weh;
ist der Schmerz vorbei,
habe ich das Gefühl, alles erreichen
zu können.
Aus dem Herbergsbuch von Jaca, 12. Juni 2003
Eunate – Estella
Dienstag, 24. Juni
Estella. Es ist 18 Uhr. Ich sitze im Museum, dem ehemaligen Palast der Könige von Navarra, und schaue zwischen den zierlichen Kapitellen der Fensterarkaden hindurch auf die Treppe, die zur Kirche San Pedro de la Rúa führt. Es ist zum Ersticken heiß hier oben, der Platzregen von vorhin hat keine Kühlung gebracht. Der Fächer der Aufseherin klappert rhythmisch.
Ich hatte nicht gedacht, dass ich die Etappe schaffen würde. Bei Gluthitze 25 km bergauf, bergab. Das Gehen früh am Morgen machte Freude, aber dann war meine Mutter plötzlich da, und Schmerz überschwemmte mich. Was will sie mir sagen? Es ist, als öffnete sie einen winzigen Spalt in der Pforte, die sich als Bild in meiner Herzgegend geformt hat. Ich gehe und gehe. In Puente la Reina haben sich die beiden französischen Wege des Camino vereinigt, aus dem privaten Weg durch Aragón ist ein Strom geworden. Immer breiter wird er und zieht und ruft. Von jetzt an werden die meisten Herbergen Massenlager sein, des Nachts erwarten mich
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