In seinem Bann
Recherchezwecke.«
Ian grinste erneut.
»Welchen Berufswunsch hattest du als Kind?«
»Ich glaube, ich wollte lange Zeit Psychologin werden. Wie meine Mutter.«
Er nickte, wobei seine Züge wieder ernster wurden.
»Du bist eine brillante Kunstwissenschaftlerin. Aber ich denke, du wärest in der Tat auch eine sehr gute Psychologin geworden.«
Er verstummte und schien sich die nächste Frage zu überlegen.
»Welchen Geruch verbindest du mit deiner Kindheit, Ann-Sophie?«
Über diese Frage musste ich einen Moment lang nachdenken.
»Den Duft der Wicken im Garten meiner Eltern«, sagte ich schließlich und war verblüfft, als der betörend süßliche Blumenduft mir im gleichen Moment wieder in die Nase stieg.
»Und welches ist der Duft deiner Kindheit, Ian?«
»Den kennst du bereits«, antwortete er knapp. »Aber jetzt geht es um dich. Welches war das erste große Geheimnis, das du vor deiner Mutter hattest?«
»Puh. Eigentlich hatte ich keine Geheimnisse vor ihr. Oder doch, ich habe ihr eine ganze Weile verheimlicht, dass mein Bruder Jungs küsste, ehe er dann sein Coming-out hatte.«
»Ah«, sagte Ian gedehnt.
»Was ist? Hattest du etwas Intimeres erwartet?« fragte ich schmunzelnd.
»Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Außerdem ist das ziemlich intim, wenn man es recht bedenkt. Dein Bruder ist also schwul?«
»Ja.« Ich grinste. »Du klingst ja fast, als wäre das ein Problem für dich.«
»Selbstverständlich nicht. War es damals eins für dich?«
»Eigentlich nicht. Conny war und ist der beste große Bruder, den man sich wünschen kann. Ich konnte immer über alles mit ihm reden. Und wenn er nicht gerade auf Australien-Rundreise wäre, wüsste er auch schon alles über dich.«
»Wirklich alles , Ann-Sophie? Das hoffe ich nicht.«
»Nun ja, sagen wir fast alles.«
Inzwischen hatten wir das Ende der Karlova erreicht und sahen die Karlsbrücke im stimmungsvollen Dämmerlicht vor uns liegen. Um diese Zeit waren deutlich weniger Touristen auf der Brücke, als ich es von meinem letzten Besuch in Erinnerung hatte. Man wurde also nicht an den eindrucksvollen barocken Sandstein-Skulpturen vorbeigeschoben, sondern konnte gemächlich an ihnen vorüberflanieren. Dabei gab das schummrige Zwielicht den theatralischen Figurengruppen einen noch dramatischeren, ja teils sogar einen ernsthaft bedrohlichen Ausdruck.
Ian hatte den Arm um meine Schulter gelegt und ich genoss es, seine Nähe zu spüren, mich in seine Armbeuge zu schmiegen, seinen Duft einzuatmen.
Von der Mitte der Brücke aus hatte man einen atemberaubenden Blick auf die prächtig illuminierte Burg, während sich die Lichter der Stadt im glitzernd-opaken Wasser der Moldau spiegelten.
»Danke, dass du mich begleitet hast«, sagte Ian leise und das raue Timbre in seiner schönen Stimme jagte augenblicklich ein wohliges Kribbeln über meine Haut.
»Ich bin gerne hier bei dir, Ian«, erwiderte ich und dann küssten wir uns.
Es war ein wundervoller, unendlich zärtlicher Kuss, voller Wärme und inniger Leidenschaft. Ian hielt mich in seinen starken Armen und alles passte. Es war der Augenblick, zu dem ich mit Goethes Faust hätte sagen wollen Verweile doch, du bist so schön – ungeachtet jeglicher Konsequenzen.
»Ich will dich nie wieder loslassen«, raunte Ian, während er mich an sich drückte und ich die Arme um seinen Hals legte.
»Ich liebe dich, Ann-Sophie.«
Hätte er mich nicht gehalten, hätte ich vermutlich den Halt unter den Füßen verloren. Das war so viel mehr, als ich jemals zu hoffen gewagt hatte.
»Ich wollte es zuerst nicht wahrhaben, aber ich bin verliebt in dich, seit wir uns zum ersten Mal begegnet sind«, fuhr Ian fort und ich spürte, wie mir Freudentränen in die Augen stiegen.
»Ich liebe dich auch, Ian. Vom ersten Moment an«, erwiderte ich mit bebender Stimme.
Ich verlor mich in der funkelnden Tiefe seiner silberblauen Augen, in denen so viel Zärtlichkeit lag. Ian schob seine linke Hand in meinen Nacken, während sein rechter Daumen sanft mein Kinn zu ihm emporhob und dabei meine Kieferknochen streichelte. Und dann lagen unsere Lippen erneut aufeinander.
Seine Hände umrahmten mein Gesicht, so zärtlich, als fürchte er, es könne unter der Kraft seiner Finger zerbrechen, und sein Kuss ließ die Welt stillstehen. Dieser Kuss war wie Magie, betörend sanft und gleichzeitig von einer unbändigen Energie, die durch meinen Körper flutete, alles in mir zum Schwingen, zum Tanzen, zum Jubilieren brachte. Ich hatte das
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