In seinen Händen - Coben, H: In seinen Händen - Caught
gefunden.«
»Was hat das mit mir zu tun?«
»Es lag in Dan Mercers Hotelzimmer. Wie es aussieht, ist dein Kinderschänder für das verantwortlich, was mit ihr passiert ist.«
Ed Grayson lag allein in seinem Bett.
Während er wegen der Ermordung Dan Mercers vernommen worden war, hatte Maggie, mit der er seit sechzehn Jahren verheiratet war, ihre Sachen gepackt und war gegangen. Auch egal. Die Ehe war sowieso erledigt und zwar schon seit einer ganzen Weile, dachte er, aber man machte sich immer Hoffnungen auf bessere Zeiten und lebte einfach weiter wie bisher - und jetzt war diese Hoffnung endgültig gestorben. Maggie würde ihn nicht verraten. Da war er sich sicher. Sie versuchte Probleme zu lösen, indem sie sie wegwünschte. Sie steckte alles Schwierige und Böse in einen Koffer, den sie dann ganz oben auf ein Regal in der hintersten Kammer ihres Gehirns packte. Dann schloss sie die Tür zu dieser Kammer und setzte ein Lächeln auf. Maggies Lieblingssatz hatte sie von ihrer Mom in
Québec übernommen: »Zum Picknick bringt man am besten sein eigenes Wetter mit.« Beide Frauen lächelten viel - und ihr Lächeln war so mitreißend, dass man manchmal fast vergaß, wie bedeutungslos es war.
Maggies Lächeln hatte viele Jahre lang seine Wirkung getan. Es hatte den jungen Ed Grayson bezaubert, ihn sprichwörtlich umgehauen. Er hatte Güte in diesem Lächeln gesehen und wollte ihm nah sein. Aber dieses Lächeln enthielt gar keine Güte. Es war eine Fassade, eine Maske, mit der die Frau dahinter das Böse von sich fernhalten wollte.
Als die ersten Nacktfotos von ihrem Sohn E.J. auftauchten, hatte Maggies Reaktion ihn schockiert: Sie wollte sie ignorieren. Niemand braucht etwas davon zu erfahren, hatte sie gesagt. Anscheinend geht es ihm gut, war sie fortgefahren. Er ist erst acht Jahre alt. Und wirklich angerührt hat ihn doch keiner - oder, falls doch, ist es ihm nicht anzumerken. Der Kinderarzt hatte nichts gefunden. E. J. wirkte normal und sorgenlos. Er machte nicht ins Bett, hatte keine Albträume und litt nicht an Angstzuständen.
»Lass es gut sein«, hatte Maggie ihn gedrängt. »Er kommt zurecht.«
Ed Grayson war explodiert. »Willst du nicht, dass das Schwein weggesperrt wird? Soll er das noch anderen Kindern antun?«
»Andere Kinder interessieren mich nicht. Mich interessiert nur E.J.«
»Und das willst du ihm fürs Leben mitgeben? ›Lass es gut sein‹?«
»So ist es am besten. Die Welt braucht nicht zu erfahren, was ihm passiert ist.«
»Er hat nichts Falsches gemacht, Maggie.«
»Glaubst du, das wüsste ich nicht? Ich weiß das. Aber die
Leute werden ihn mit anderen Augen ansehen. Er wird das nie wieder loswerden. Aber wenn wir uns einfach ganz ruhig verhalten, niemandem etwas davon erzählen …«
Maggie hatte ihn angesehen und gelächelt. Und zum ersten Mal war ihm dieses Lächeln unheimlich gewesen.
Er stand auf und schenkte sich noch einen Scotch mit Soda ein. Er schaltete ESPN ein und sah sich SportsCenter an. Er schloss die Augen und dachte an das Blut. Er dachte an den Schmerz und den Terror, den er im Namen der Gerechtigkeit ausgeübt hatte. Er glaubte das alles, was er zu dieser Reporterin, Wendy Tynes, gesagt hatte: Der Gerechtigkeit musste Genüge getan werden. Wenn nicht von den Gerichten, tja, dann mussten Männer wie er das in die Hand nehmen. Doch das hieß nicht, dass diejenigen, die diese Gerechtigkeit in die Hand nahmen, nicht vielleicht einen hohen Preis dafür zahlten.Den Satz, dass Freiheit nicht umsonst zu haben sei, hörte man häufig. Das Gleiche galt eben auch für die Gerechtigkeit.
Er war allein, trotzdem hatte er Maggies erschrockene Stimme noch im Ohr, als sie bei seiner Rückkehr geflüstert hatte:
»Was hast du getan?«
Und statt sich lange und ausführlich zu verteidigen, hatte er es kurz gemacht:
»Es ist vorbei.«
Und das hätte er auch über ihre Beziehung sagen können, über die Ehe zwischen Ed und Maggie Grayson. Dann hatte er angefangen zurückzublicken und zu überlegen, ob es je echte Liebe gewesen war. Es war leicht, die Trennung auf das zu schieben, was E.J. widerfahren war - aber stimmte das überhaupt? Verursachten solche Tragödien Risse in einer Beziehung oder vergrößerten sie nur die schon vorhandenen? Oder warfen sie gewissermaßen grelles Scheinwerferlicht auf diesen einen Punkt, an dem die Risse schon immer vorhanden gewesen
waren? Vielleicht lebten wir im Dunkeln, geblendet vom Lächeln und einer gutmütigen Fassade. Vielleicht riss
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