In seinen Händen - Coben, H: In seinen Händen - Caught
Moment später hörte sie ein tiefes Seufzen, dann kamen ein paar schwere Schritte die Treppe herauf. Charlie steckte den Kopf durch die Tür.
»Was?«
Sie deutete auf den Computer-Monitor. »Ich muss Mitglied dieser Gruppe werden.«
Charlie sah sich die Seite an. »Du warst nicht in Princeton.«
»Vielen Dank für die eingehende Analyse. Das wusste ich ja noch gar nicht.«
Charlie lächelte. »Ich steh drauf, wenn du mir sarkastisch kommst.«
»Ja, ja, wie die Mutter, so der Sohn.« Gott, wie sie dieses Kind liebte. Wendy durchströmte einer dieser Gefühlsschübe, die Eltern manchmal bekommen. Sie wollte ihren Sohn ganz fest umarmen, jetzt, sofort, und nie wieder loslassen.
»Was?«, fragte Charlie.
Sie riss sich zusammen. »Also, wie werde ich Mitglied dieser Gruppe, wenn ich gar nicht in Princeton studiert habe?«
Charlie verzog das Gesicht. »Das soll jetzt ein Witz sein, oder?«
»Seh ich aus, als würde ich Witze reißen?«
»Schwer zu sagen, bei deinem Sarkasmus und so.«
»Ich mache gerade weder Witze, noch bin ich sarkastisch. Wie komme ich da rein?«
Charlie seufzte, beugte sich vor und deutete auf die rechte Seite des Monitors. »Siehst du den Link da, auf dem steht ›Gruppe beitreten‹? Da klickst du drauf.« Er richtete sich auf.
»Und dann?«
»Das ist alles«, sagte ihr Sohn. »Du bist drin.«
Jetzt verzog Wendy das Gesicht. »Aber, wie du schon so clever angemerkt hast, ich war doch gar nicht in Princeton.«
»Ist egal. Das ist eine offene Gruppe. Bei geschlossenen Gruppen steht da ›Beitrittsanfrage senden‹. In diese kann jeder rein. Klick einfach drauf, dann bist du drin.«
Wendy sah ihn unschlüssig an.
Wieder seufzte Charlie. »Mach einfach«, sagte er.
»Okay, aber warte so lange.« Wendy klickte auf den Link - und wurde damit, voilà, einfach so Mitglied des Studienjahrgangs von Princeton, wenn auch nur in seiner Facebook-Version. Charlie sah sie mit einem »Hab ich doch gleich gesagt«-Blick an, schüttelte den Kopf und trampelte wieder die Treppe hinunter. Ihr wurde wieder einmal bewusst, wie sehr sie ihn liebte. Dann musste sie unwillkürlich daran denken, wie Marcia und Ted McWaid sich gefühlt haben mussten, als sie von der Polizei informiert wurden, dass Haleys iPhone - ein wahrscheinlich einst sehnlichst herbeigewünschtes Geschenk - unter dem Bett eines fremden Manns gefunden worden war.
Das half ihr jetzt nicht unbedingt weiter.
Die Seite war geladen, also zurück an die Arbeit. Erst überflog Wendy kurz die achtundneunzig Mitglieder. Weder Dan noch Phil oder Farley. Durchaus plausibel. Wahrscheinlich übten sich inzwischen alle drei bei solche öffentlich zugänglichen Medien in Zurückhaltung. Falls sie je Mitglied bei Facebook
waren, hatten sie ihr Konto inzwischen wohl wieder gelöscht. Wendy kannte keinen der Namen.
Okay, und was jetzt?
Sie sah sich die Diskussionsforen an. In einem wurde erkrankten Ex-Kommilitonen Hilfe angeboten. In einem anderen wurden regionale Treffen der Gruppenmitglieder organisiert. Interessierte sie alles nicht. Dann entdeckte sie ein Diskussionsforum über die nächste Jubiläumsfeier. Sie klickte darauf und fand einen Link, der vielversprechend klang:
»Wohnheimbilder - Erstes Jahr!«
Auf dem fünften Foto der Diashow entdeckte sie die drei Gesuchten. Die Bildunterschrift lautete »Stearns House«. Es zeigte rund hundert Studenten vor einem Backsteingebäude. Zuerst erkannte sie Dan. Er hatte sich sehr gut gehalten - die Locken waren im Lauf der Jahre kürzer geworden, aber ansonsten sah er noch aus wie damals. Keine Frage - er war ein hübscher Bursche gewesen.
Die Namen waren unten aufgelistet. Vorne in der Mitte stand Farley Parks - schon ganz Politiker. Phil Turnball war rechts. Während Dan Jeans und ein T-Shirt trug, hätte man Farley und Phil in ihrem Outfit direkt für die Titelseite einer Zeitschrift für arrogante Eliteschüler ablichten können. Khakis, Polohemden, Mokassins, keine Socken - eigentlich fehlte nur der elegant um den Hals geworfene Kaschmirpullover.
Okay, damit kannte sie jetzt den Namen des Studentenwohnheims. Und wie weiter?
Sie konnte die Namen sämtlicher anderer Personen auf dem Bild googeln, aber das würde ziemlich lange dauern und womöglich nichts bringen. Schließlich verkündeten die meisten Leute nicht im Internet, mit wem sie in ihrem ersten Jahr auf der Universität zusammengewohnt hatten.
Wendy ging zurück auf die Facebook-Seite und stöberte
weiter herum. Nach zehn Minuten
Weitere Kostenlose Bücher