In stiller Wut: Kriminalroman (German Edition)
wusste, dass Lilly nicht lockerlassen würde, bevor sie das letzte gruselige Detail aus ihm herausgequetscht hatte. Und so begann er, von dem schrecklichen Verlauf der Krankheit zu berichten, die unweigerlich zum Tode führte, sobald sich das Virus erst einmal im zentralen Nervensystem eingenistet hatte. »Dann hilft auch keine Impfung mehr«, erklärte er.
Lilly lauschte gebannt.
»Zuerst bekommt man Fieber und es wird einem schlecht, dann kommen die Angstzustände. Wenn das Virus sich im Gehirn ausbreitet, fangen die Kranken an zu hecheln, sie entwickeln eine Abscheu vor Wasser, ihr Hals ist wie zugeschnürt und sie können kaum noch ihren eigenen Speichel schlucken. Daher kommt der Schaum vor dem Mund. Der Kranke ist verwirrt, leidet unter Halluzinationen. Ein paar Tage geht das so. Schließlich fällt er ins Koma und stirbt.«
»Und wie lange dauert das?«
»So genau weiß ich das nicht. Es hängt davon ab, wo der Biss erfolgt. Ist die Wunde unten am Knöchel, dauert es länger, als wenn man in den Oberschenkel gebissen wird.«
»Hört sich absolut grässlich an.« Lilly klang ungewohnt mitfühlend. »Vielleicht hatte der Hamster ja auch Tollwut.«
»Aber Lilly, Tollwut ist zum Glück in Deutschland fast ausgerottet. Die letzten Todesfälle, an die ich mich erinnern kann, hat es 2005 gegeben.« Damals, so erzählte er weiter, hatte sich eine junge Frau offenbar in Indien durch einen Hundebiss angesteckt. Durch einen unglaublich perfiden Zufall war sie, zurück in der Heimat, nicht an den tückischen Viren, sondern infolge eines Unfalls gestorben. Sie war Organspenderin gewesen. Lunge, Herz, beide Nieren, die Leber sowie die Hornhäute ihrer Augen waren kranken Menschen transplantiert worden. Da Tollwut so gut wie gar nicht in Deutschland auftrat, wurden Organspender nicht darauf getestet.
Wie Trojanische Pferde hatten die Spenderorgane ihre tödliche Fracht in die Körper der Empfänger gebracht. Drei von ihnen hatten sich an den verseuchten Organen infiziert und waren ebenfalls gestorben. Nur die zwei Personen, die die Hornhäute bekommen hatten, überlebten – und der Mann, der die Leber bekommen hatte. Er war in seiner Jugend gegen Tollwut geimpft worden.
Lillys Augen glänzten vor Begeisterung.
»Das ist jedenfalls der erste Tollwuttote, den ich zu Gesicht bekommen habe, und wird wohl der letzte bleiben.«
Theo sollte sich irren.
Als er es sich endlich mit seinem Bier in der Hand in der Abendsonne hinterm Haus gemütlich gemacht hatte, klingelte sein Handy. »Hoffentlich kein Klient«, stöhnte er. Dann sah er auf dem Display den Namen der Anruferin.
»Wehe, du lachst«, sagte Hadice drohend.
Theo grinste. »Auf keinen Fall.«
»Ich hab mir den Fuß gebrochen.«
»Ach herrje.« Theo setzte sich aufrecht hin. »Wie ist denn das passiert?«
Hadice schwieg. »Ich hab versucht, eine Tür aufzutreten«, antwortete sie schließlich mürrisch.
Theo lachte laut.
KAPITEL 3
Als er eine gute Stunde später mit einer Tasche voller Waschutensilien und Kleidung im Wilhelmsburger Krankenhaus Großsand auftauchte, grinste er noch immer. Hadice hatte ihm aufgetragen, den Ersatzschlüssel zu ihrer Wohnung von ihrer Nachbarin zu holen und ihr das Nötigste zu bringen. »Bei dir weiß ich wenigstens, dass du nicht in meinen Sachen herumschnüffelst.«
»Ich weiß, Diskretion ist mein zweiter Name.«
Hadice Öztürk, seit Neustem Kommissarin bei der Hamburger Mordkommission, lag im Bett und sah ausgesprochen übellaunig aus. Ihr rechter Fuß steckte in einer klobigen Plastikverschalung.
»Wie im Kino, was?« Theo ließ die Tasche auf einen Stuhl plumpsen. »Die Frau Superkommissarin nimmt Anlauf und bäng!, sprengt sie die Tür auf und die Ganoven machen sich vor Schreck in die Hose.«
»Ganz genau«, sagte Hadice, »so läuft das immer. Aber der Kerl da, der war absolut paranoid. Der hatte seine Tür mit fünf Riegeln verbarrikadiert.«
Entnervt starrte sie auf ihren Fuß. »Da steckt jetzt ein halbes Pfund Nägel drin. ›Davon haben Sie lange was‹, hat der Orthopäde gesagt.« Stöhnend ließ sie sich in die Kissen sinken.
Theo konnte ihren Frust verstehen. Er kannte kaum einen Menschen, der weniger gut still sitzen konnte – und jetzt würde sie ihr Temperament noch wochenlang zügeln müssen.
»Erinnerst du dich noch an Reinhold Lehmann?«
»Du meinst Reinhold-den-Oberarsch-Lehmann?«
»Genau den.«
»Klar erinnere ich mich. Er hat mich immer ›Türkenschlampe‹ genannt. Jedenfalls, bis
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