In stiller Wut: Kriminalroman (German Edition)
schmucklose Urne und ein nur ein Quadratmeter großes Stück Fläche auf dem Urnengräberfeld. Die Grundstückspreise waren hoch in Hamburg – das galt auch für die Toten. Kurti, der bärenhafte Sportstudent, verdiente sich mit seinem Job als Aushilfsbestatter ebenso ein Zubrot wie der alte Krause, der schon für Theos Vater gearbeitet hatte. Theo setzte den alten Herrn nur noch bei Urnenbeisetzungen ein – ihm fehlte inzwischen die Kraft, einen Sarg in die Erde hinunterzulassen. Routiniert lösten die beiden die Seile, an denen die Urne in das Loch herabgelassen wurde, und traten dann zurück. Theo nickte ihnen zu.
Es war ein weiterer grauer Tag in diesem bislang so regnerischen Frühsommer. Der Wind trieb die Wolken über den Horizont. Von der nahen Elbe hörte man das Tuten eines Lastschiffes.
Da Lehmann nicht der Kirche angehört hatte, sprach auch kein Pastor über Vergebung und Auferstehung. Daher übernahm Theo es, ein paar unverbindliche Sätze über die Vergänglichkeit menschlichen Lebens zu sagen. Niemand sollte ohne ein paar besinnliche Worte zu Grabe getragen werden. So hatte es sein Vater gehalten und so machte es auch Theo.
Zu Theos Überraschung war doch noch ein Trauergast zur Beisetzung erschienen. Eine hagere Frau, deren billige Strickjacke kaum Schutz vor den Windböen bot. Ihr zu Stroh gebleichtes Haar flatterte, tiefe Falten durchzogen das ungeschminkte Gesicht. Theo vermutete, dass sie wesentlich jünger war, als sie aussah. Eine Zechkumpanin von Lehmann, vielleicht sogar seine Lebensgefährtin. Die Frau lauschte unbewegt Theos Worten. Sie schien die Kälte nicht zu spüren.
Sie ergriff die kleine Schaufel, die Theo bereitgestellt hatte, und warf eine Schütte auf die Urne. Die Erde war feucht und schwer. Sie traf die Urne mit einem blechernen Geräusch.
»Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub – und Dreck zu Dreck«, sagte die Frau. Dann blickte sie Theo an. Herausfordernd, wie ihm schien. »Kommst du noch mit, Herr Bestatter? Auf einen Drink zur Erinnerung an den Scheißkerl, der hier ruht? Ich geb einen aus!«
Theo zögerte.
»Immerhin hast du ihn doch gekannt, oder?« Ihr spöttisches Lächeln entblößte schlechte Zähne.
Theo nickte überrumpelt. Er hatte eigentlich keine Lust, die Frau in die nächste Kneipe zu begleiten. Andererseits war er neugierig.
Kurz darauf standen sie am Tresen einer Baracke, die zwar unweit vom Friedhof lag, die Theo dennoch nie betreten hatte. Der winzige Gastraum war zu seiner Überraschung blitzsauber. Vor den Fenstern hingen leuchtend weiße Spitzengardinen. Hinter der Bar stand ein kleiner Mann mit tonnenförmiger Figur, der kaum an die Zapfhähne heranreichte. »Na, Iris, wie immer?«
Iris nickte. »Und das Gleiche hier für meinen neuen Freund.«
Theo wollte schon protestieren, als der Wirt mit dem Geschick eines Jongleurs beidhändig zwei Flaschen Apfelsaft hervorzog und schwungvoll öffnete. Iris grinste zu Theo hinüber.
»Hattest wohl mit was Härterem gerechnet?«
Theo lachte. Sie prosteten einander zu.
»Iris«, sagte Iris.
»Theo«, sagte Theo.
»Ich weiß.«
»Wieso eigentlich? Ich hätte nicht gedacht, dass Lehmann, ich meine Reinhold, groß über mich spricht. Ich meine, wir hatten seit siebzehn Jahren nichts mehr miteinander zu tun.«
»Das kann ich dir auch nicht verdenken.« Iris lachte lautlos in ihr Glas.
»Und wie standest du zu ihm?«
»Reinhold und ich, wir waren mal ein Paar. Jedenfalls bis ich Schluss gemacht hab mit dem Alk. Bin jetzt seit zwei Jahren trocken.«
»Alle Achtung«, sagte Theo und meinte es ernst.
Iris nickte stolz.
»Ihm ist es ja offenbar nicht so gut ergangen, dem Reinhold«, wagte Theo einen Vorstoß.
»Kann man so sagen. Das Abitur hat er wohl noch ganz gut hingekriegt, aber dann in der Ausbildung fing’s wohl an, schiefzulaufen.« Sie drehte das Glas, das vor ihr auf dem Tresen stand. »Reinhold hat immer von seiner Schulzeit geschwärmt. Da war er offenbar so eine Art großer Zampano?« Fragend blickte sie zu Theo.
»So könnte man es auch sagen.« Theo dachte an Lehmanns böses Treiben.
»Jedenfalls haben die ihm in der Ausbildung die Tour nicht durchgehen lassen.«
Das hätten wir vielleicht auch nicht sollen, dachte Theo.
»Irgendwann hat er angefangen zu trinken und das war’s dann.« Sie zuckte mit den Schultern. »Zu Anfang hab ich ihn richtig bewundert. Reinhold war ganz schön schlau, mit seinem Abitur und so. Ich war in der Schule nie so helle. Außerdem war er
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