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In stiller Wut: Kriminalroman (German Edition)

In stiller Wut: Kriminalroman (German Edition)

Titel: In stiller Wut: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Fux
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zwanzig Jahren nicht mehr gesehen. Könnte also auch jede andere sein.«
    »Inklusive Benno?«
    »Inklusive Benno.«
    Er starrte auf das Bild von Nathalie.
    »Es wird langsam verdammt eng«, sprach Hanna seine Gedanken aus.
    »Und mir fällt absolut nichts ein, was ich noch unternehmen könnte.«
    »Lass uns irgendwohin gehen. Ich muss zwar heute noch arbeiten, aber ein, zwei Stündchen sind noch drin.«
    »Gute Idee. Wir gehen an den Strand.«
    »Ich hab dafür nichts anzuziehen.«
    »Das findet sich.«
    Zu Theos Befriedigung – und Hannas geheimem Kummer – passten ihr Theos Shorts ganz gut. Dazu trug sie eines seiner Leinenhemden, das sie an den Ärmeln aufgekrempelt hatte. Ihre schwarzen Locken hatte sie wegen der Hitze zu einem Knoten geschlungen.
    Theo hatte inzwischen eine Decke und Getränke in eine Sporttasche gestopft.
    »Sonnenmilch?«, fragte Hanna streng. »Ohne Sonnenmilch kriegst du mich nicht vor die Tür.«
    Er zog eine Flasche mit Lichtschutzfaktor 30 heraus und hielt sie ihr vor die Nase. »Langt das, Schneewittchen?«
    Hanna nickte.
    Der kürzeste Weg zum Elbstrand führte direkt durch den Friedhof Finkenriek. Ein asphaltierter Weg zog sich durch eine Allee noch junger Bäume, links und rechts davon erstreckten sich die Gräberfelder. Die Türen der kleinen modernen Kapelle öffneten sich und entließen einen Trauerzug. Dr. Rauhfuß, fiel Theo ein und er war froh, dass May die Aufsicht übernommen hatte. Er nickte zu den Sargträgern hinüber und der vorderste, Sportstudent Kurti, zwinkerte ihm unauffällig zu. Kurti schrieb an seiner Abschlussarbeit. Insgeheim hoffte Theo, den jungen Mann auch über sein Studium hinaus halten zu können. Er war ganz einfach ein echtes Bestattertalent, gut erzogen, menschlich und mit einem rabenschwarzen Humor ausgestattet. Tatsächlich hatte Kurti auf der letzten Betriebsweihnachtsfeier in leicht alkoholisiertem Zustand entsprechende Kostproben präsentiert.
    Hanna zupfte Theo am Ärmel. In ihrem Aufzug fühlte sie sich als Zaungast der Trauernden unbehaglich. So gingen sie weiter zu einer kleinen Gitterpforte, die hinaus auf den König-Georgs-Deich führte. Mit wenigen Schritten erklommen sie die Deichkrone.
    Die Süderelbe floss träge zu ihren Füßen. Sie war an dieser Stelle zwar deutlich schmaler als weiter stromabwärts, wo die Ozeanriesen den Hafen ansteuerten, aber dennoch einen guten Kilometer breit, schätzte Hanna. Theo wandte sich nach rechts, wo die Grasdecke des Deiches von einem Teerbelag abgelöst wurde.
    Hanna jubelte, lief den Steilhang hinunter, stolperte und fiel mit den Knien in den weichen Sand. Sie stand auf, zog die Sandalen aus, ließ sie fallen und lief bis zu den Schenkeln ins Wasser. Dort blieb sie, die Hände in die Hüften gestützt, stehen.
    Ein ICE ratterte auf seinem Weg nach München über die für Züge vorgesehene Elbbrücke im Westen. Obwohl die Distanz viel zu groß war, um Menschen darin erkennen zu können, hob sie grüßend die Hand. Als sie kurz darauf neben Theo auf der Decke lag, war der Tag für einen Moment perfekt. Es roch nach Sonnenmilch und Elbwasser.
    Theo ließ etwas Sand aus der Hand rieseln. Irgendwo in seinem Kopf verrann eine virtuelle Sanduhr. Wenn es nicht gelang, Nathalie rechtzeitig aufzuspüren, war sie verloren. Er seufzte.
    »Eines würde ich gern wissen: Wenn sie so ein Miststück ist, warum macht dir die Sache dann eigentlich so zu schaffen?« Hanna schien wieder einmal Gedanken lesen zu können.
    »Keine Ahnung.« Er schwieg. Der herabgerieselte Sand hatte inzwischen ein kleines Häufchen gebildet. Er bohrte seinen Zeigefinger hinein. »Immerhin hab ich den hippokratischen Eid abgelegt. Der gilt auch für schlechte Menschen.«
    Hanna boxte ihn in die Seite.
    »Aua.«
    »Da steckt doch was anderes dahinter.«
    Er schloss wieder die Augen und sprach aus, was in ihm rumorte, seit er Reinholds Leichnam hergerichtet hatte. »Tatsache ist: Ich fühle mich schuldig.«
    Hanna schnaubte.
    »Verstehst du nicht? Ich hab damals einfach nicht genug getan, um Nathalie und die anderen beiden aufzuhalten. Zu bequem. Zu feige. Was weiß ich.«
    »Und darum legst du dich jetzt für Nathalie ins Zeug? Verstehe ich nicht.«
    Er überlegte. »Wenn ich sie rette, obwohl sie kein netter Mensch ist, dann …«
    »… dann beweist das, dass du trotzdem zu den Guten gehörst?«
    »Vermutlich.«
    »Eine Art Jedi-Ritter?«
    »Genau.«
    Hanna lachte so laut, dass zwei dösende Enten verstört aufflatterten.

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