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In stiller Wut: Kriminalroman (German Edition)

In stiller Wut: Kriminalroman (German Edition)

Titel: In stiller Wut: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Fux
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»Vierter Stock! Und ich wette, es gibt wieder keinen Aufzug.«
    Sie drückte mehrfach energisch auf den Klingelknopf, doch das Summen des Türöffners blieb aus. Als sie es gerade bei einem der anderen Anwohner probieren wollte, öffnete sich die Tür. Vor ihnen stand ein kleines rothaariges Mädchen, dessen breites Grinsen eine Zahnlücke entblößte. »Wollen Sie vielleicht zu uns?«
    Hadice fand, dass es hoffnungsvoll klang. Sie erinnerte sich noch gut, dass sie sich als Kind am Wochenende oft gelangweilt hatte.
    »Ich glaube nicht«, sagte sie bedauernd. »Wir wollen zu Frau Kuhn.«
    »Die komische Frau mit der Brille?«
    Hadice nickte.
    »Die ist nicht da«, verkündete die Kleine. »Die ist schon seit Ewigkeiten nicht da.«
    Henry stieß einen leisen Pfiff zwischen den Zähnen aus. Er ließ sich in die Hocke nieder, um auf Augenhöhe mit dem Kind zu sein. »Wie heißt du?«
    »Luise.«
    »Und wieso findest du diese Frau denn so komisch, Luise?«
    Das Mädchen schnitt eine Grimasse. »Nachts«, sagte sie dann, »macht die manchmal Geräusche.« Sie griff nach einer Haarsträhne und steckte sie sich in den Mund.
    »Was für Geräusche?«
    »Sie murmelt. Das klingt komisch. Richtig gruselig ist das.«
    »Und das kannst du hören?«
    »Ja, schon. Wenn die Fenster auf sind. Sie steht dann am Fenster und murmelt. Als ob sie mit den Sternen spricht.«
    Luise hatte sie ins Haus gelassen und war stehen geblieben. Wie befürchtet gab es keinen Fahrstuhl, doch das Treppenhaus erwies sich als großzügig, sodass Hadice mit ihren Krücken einigermaßen zurechtkam.
    »Gemurmel also«, sagte sie. »Reden mit den Sternen.«
    »Also, besonders verdächtig klingt das nicht, finde ich.«
    »Dir hat sie ja auch gefallen.«
    Henry grinste. »Ich hab nun mal eine Schwäche für intellektuell überlegene Frauen.«
    »Lass das nicht deine Ute hören.«
    »Wieso? Die ist mir intellektuell ja auch überlegen – haushoch, das kannst du mir glauben.«
    Vor der Kuhn’schen Wohnungstür verschnaufte Hadice einen Moment. Sie sehnte sich nach einer Dusche. Sie sehnte sich danach, diesen juckenden, klobigen Folterschuh loszuwerden.
    Henry klingelte. Er ließ seinen Finger lange auf dem Knopf, sodass sich der schrille Klingelton in Hadices Gehörgang bohrte. Sie spürte, dass sie Kopfschmerzen bekommen würde.
    »Okay. Was haben wir?« Henry zählte die Fakten an einer Hand ab. »Sie hat Grund, sauer auf Reinhold, Sebastian und Nathalie zu sein. Sie leidet unter Schizophrenie und zeigt einem Experten zufolge Anzeichen eines psychotischen Schubs.«
    »Sie hat Erfahrung mit Viren.«
    »Und sie hat ihr Verhalten in den letzten Wochen dramatisch verändert: Sie engagiert sich weniger für ihr Forschungsprojekt und hat sich in ihrer Wohnung nicht blicken lassen.«
    Henry klingelte erneut und klopfte dann an die Tür. »Frau Dr. Kuhn«, rief er, »bitte öffnen Sie.«
    »Ich hab doch gesagt, sie ist nicht da.« Das rothaarige Mädchen war ihnen die Treppe hinauf gefolgt. Diesmal wickelte sie eine Haarsträhne um einen Finger und zog heftig daran.
    »Na ja, manchmal kriegt man ja nicht alles mit, was die Nachbarn so treiben«, sagte Henry.
    »Ich schon. Ich meine, die wohnt genau über uns. Und wenn sie rumläuft, dann knarrt der Boden. Ich merk immer, wenn die da ist!«
    »Und jetzt hast du wirklich schon ganz lange nichts mehr gehört.«
    Sie nickte. Ihre dichten Locken wippten auf ihrem Kopf wie rostige Sprungfedern. »Außer …«
    »Außer was?«, schaltete sich Hadice in das Gespräch ein.
    »In der Kammer. Da ist irgendwas. Irgendwas, was lebt.«
    Henry und Hadice wechselten einen raschen Blick.
    »Ich finde, das reicht«, sagte Hadice. »Wenn wir anführen, dass uns nur noch wenig Zeit bleibt, Nathalie Stüven zu retten …«
    Henry lächelte dem kleinen Mädchen zu. »Es wär besser, wenn du nach unten in eure Wohnung gehst, Luise.«
    »Ist das Ding in der Kammer gefährlich?« Luise sah nicht im Mindesten verschüchtert aus.
    »Wahrscheinlich nicht, aber sicher ist sicher.«
    Luise ging zögerlich eine Stufe hinunter, blieb dann stehen und schielte über die Schulter zu Henry.
    »Abgang«, sagte der. »Solange du nicht bei deiner Mutter bist, können wir da nicht reingehen.«
    Luise seufzte laut. Endlich passierte mal etwas Interessantes und dann schickte man sie weg. Mit Leidensmiene trabte sie die Treppe hinunter. Als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, atmete Hadice auf. »Mach schon! Mit dem Fuß hier trete ich keine Tür

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