In sündiger Silvesternacht
Nation liegt zweifelsfrei Liebe in der Luft. Die neueste Bekanntmachung stammt von Senator McNeil aus Wisconsin, der darauf beharrt, dass seine Tochter ihren frisch Verlobten zufällig in der Ausstellung kennengelernt hat.
Regina Meyers, die Sprecherin des öffentlichkeitsscheuen Besitzers des Rubinov, erklärte, Mr Shalnokov sei sehr erfreut, dass sein Diamant zur vorweihnachtlichen Stimmung beitrage.
Ohne Frage ist der Rubinov-Diamant ein außergewöhnlicher Liebesstifter. Deshalb hier mein Rat: Die Uhr läuft. Wenn Sie Ihren Anteil an der Legende um den Rubinov haben wollen, gehen Sie nicht, sondern sprinten Sie zur National Gallery! Der Diamant wird am 23. Dezember wieder in die private Sammlung von Gregory Shalnokov zurückgeführt.
1. KAPITEL
Polizei-Lieutenant Fiona Gallagher sah von ihrer Broschüre auf und ließ den Blick über die Menschenmenge schweifen, die wie sie selbst darauf wartete, einen Blick auf den legendären Rubinov zu werfen.
Die lange Schlange wurde, ähnlich wie vor den Sicherheitskontrollen an Flughäfen, im Zickzackkurs durch den Ausstellungsraum geleitet. Unter den Besuchern fanden sich alle Altersgruppen, von kleinen Kindern bis zu einem Ehepaar genau vor Fiona, das schon über achtzig Jahre alt sein mochte. Sie entdeckte sogar einige in schwarz gekleidete Teenager mit roten Schals und Weihnachtsmützen, passend zur Jahreszeit.
Eigentlich fragte sich Fiona, was um alles in der Welt sie überhaupt in dieser Ausstellung tat. In den fünf Jahren, die sie nun in Washington D. C. wohnte und als Kriminalbeamtin arbeitete, hatte sie die National Gallery nie besucht. Während sie jetzt wartete, wollte sie schon zwei, drei Mal einfach wieder gehen. Diamanten, um die sich romantische Legenden rankten, waren überhaupt nicht ihr Fall. Doch ihre Chefin, Captain Natalie Gibbs-Mitchell, hatte sie dazu gedrängt, sich den Stein anzusehen. Natalie war davon überzeugt, dass Fiona mehr in ihrem Leben brauchte als nur den Job. Das sah Fiona allerdings anders. Ihre Arbeit in der Abteilung für Kriminalfälle, die im Mittelpunkt der Öffentlichkeit standen, sorgte für genau die Art von Herausforderungen, die sie sich wünschte.
Vielleicht war sie heute ja aus reiner Langeweile hergekommen. Im Augenblick gab es keinen Fall zu bearbeiten. Das störte sie ein wenig, denn Weihnachten war nicht gerade ihr Lieblingsfest. Für gewöhnlich hielt sie sich immer an ihre Arbeit, um diese Zeit gut zu überstehen. Nicht, dass sie nichts anderes zu tun gehabt hätte. Sie organisierte in ihrem Bezirk eine Spendenaktion für Spielzeug zugunsten der Familien zurückkehrender Kriegsveteranen. Deswegen würde sie in weniger als einer Stunde an einer Besprechung im Walter Reed Hospital teilnehmen. Danach war sie auf eine Weihnachtsparty eingeladen und musste sich vorher natürlich noch umziehen.
Als sie das Revier verlassen hatte, hatte sie überhaupt nicht an den Rubinov gedacht. Doch dann hatte sie sich plötzlich in der National Mall wiedergefunden. Neugier war zwar immer eine ihrer Stärken als Polizistin gewesen, beschränkte sich jedoch normalerweise auf ihre Arbeit. Fiona handelte nur selten impulsiv.
Das Ehepaar vor ihr rückte ein Stück weiter, und Fiona erhaschte den ersten Blick auf den Diamanten. Wow! Sie konnte die Augen nicht mehr von ihm abwenden. Hatte sie schon jemals einen so blauen Stein gesehen? Seine außergewöhnliche Schönheit war – Legende hin oder her – nicht zu leugnen. Selbst durch das Glas des Schaukastens funkelte der Edelstein im Zentrum einer kunstvoll gearbeiteten Halskette mit einem Feuer, das noch intensiver zu werden schien, je länger sie ihn betrachtete.
Besaß er wirklich die Kraft, eine unwiderstehliche Anziehungskraft zwischen zwei Menschen auszulösen? Fiona bezweifelte das. Doch sie konnte der National Gallery nicht verübeln, dass man die romantischen Legenden um das Juwel öffentlichkeitswirksam ausnutzte.
Sogar mitten in der geschäftigen Vorweihnachtszeit war der Rubinov das Stadtgespräch in Washington. Mehrere Leute, darunter die Tochter eines bekannten Senators, schrieben ihre Verlobungen dem berühmten Diamanten zu.
Nach Fionas Erfahrung kam die wahre Liebe nur höchst selten vor. Ihren Eltern war sie zuteil geworden, glaubte sie. Doch da sie sie schon im Alter von vier Jahren verloren hatte, besaß sie zu wenige Erinnerungen, um sich sicher zu sein. Sie selbst hatte jedenfalls in den verschiedenen Pflegestellen, die sie durchlaufen hatte, bevor sie auf die
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