In sündiger Silvesternacht
Anwesenheit der anderen Person, noch bevor er sie sehen oder hören konnte. Und er witterte Gefahr. Das überraschte ihn nicht, schließlich schärfte die Kampferfahrung die Wahrnehmung eines Mannes. Er blickte weder von den Notizen auf, die er sich gerade machte, noch schrieb er langsamer, aber alle seine Sinne waren hellwach.
Er war sich ziemlich sicher, dass es sich nicht um den Mann handelte, der auf ihn geschossen hatte. Der Angreifer von Private Hemmings war zu erpicht darauf gewesen zu fliehen. D. C. hörte nichts als die näherkommenden Sirenen und die Musik aus den Lautsprechern neben der Eislaufbahn. Trotzdem fühlte er die Bedrohung mit jeder Sekunde wachsen. So etwas hatte er bisher nur einmal erlebt, das war in Bagdad gewesen. Damals hatte er erst später erfahren, dass er durch das Zielfernrohr eines Hochleistungsgewehrs beobachtet worden war.
Er blickte auf seine Pistole, die er auf den Boden gelegt hatte. Sein Gehstock lag daneben. Einer der beiden Gegenstände würde sich als nützliche Waffe erweisen … falls er sie rechtzeitig in die Hand bekam.
„Denken Sie nicht einmal daran.“
D. C. atmete hörbar aus. Bis zu diesem Augenblick war ihm gar nicht bewusst gewesen, dass er die Luft angehalten hatte. Die Stimme war kräftig, selbstsicher und eindeutig weiblich.
„Polizei. Heben Sie die Hände und behalten Sie sie da, wo ich sie sehen kann.“
D. C. tat, was sie verlangte. Als er den Blick hob, nahm er als erstes ihre Schuhe wahr. Polizisten trugen heutzutage wirklich interessante Schuhe. Diese hier sahen teuer aus, hatten mörderisch hohe Absätze, und sie bewegten sich zielstrebig auf ihn zu. Eigentlich hätten sie den Gang seiner Trägerin verlangsamen müssen, aber das war nicht der Fall. Ein schwarzer Mantel blähte sich bei jedem ihrer Schritte auf und gab dabei die Sicht auf ein kurzes rotes Kleid und ellenlange Beine frei, die er gern länger betrachtet hätte. Doch die Waffe, die die Frau professionell mit beiden Händen umfasst hielt, war ein bisschen irritierend, besonders, da sie damit auf sein Herz zielte.
Als er ihr Gesicht sah, erkannte er sie sofort und fühlte sich, als habe er einen Faustschlag abbekommen. Da war sie, die geheimnisvolle Schöne aus der Ausstellung! Ihr Gesicht war so bemerkenswert, wie er es in Erinnerung hatte. Ihre feinen Züge und der Porzellanteint bildeten einen faszinierenden Gegensatz zu dem leicht eigensinnig wirkenden Kinn und den hohen Wangenknochen, die Stärke ausdrückten. Die Stärke eines Cops?
Er sah ihr direkt in die Augen. Sie hatten die Farbe von altem Whisky. Und sofort verspürte er dasselbe heftige und ungestüme Verlangen, das er schon bei ihrer ersten Begegnung empfunden hatte.
Offenbar konnte man auch ein zweites Mal vom Blitz getroffen werden. Sie blieb vor ihm stehen, und er war sich mit einem Mal sehr sicher, dass die Gefahr, die er vorhin gewittert hatte, nichts mit der Waffe sondern nur mit dieser Frau zu tun hatte.
Wer, zum Teufel, ist sie?
„Behalten Sie die Hände oben.“ Fiona war froh, dass sie die Waffe ruhig in der Hand hielt. Innerlich war sie nämlich überhaupt nicht ruhig. Sie hatte den Mann sofort erkannt, als sie gesehen hatte, wie er neben dem Körper am Boden kniete. Nicht nur das, sie hatte auch denselben intensiven Drang gespürt, sofort zu ihm zu gehen, wie schon zuvor im Ausstellungsraum. Stattdessen war sie stehengeblieben und hatte sich einen Augenblick Zeit genommen, um sich zu sammeln, bevor sie sich auf ihn zubewegte.
Der Mann, der die Notrufnummer gewählt hatte, hatte sich selbst als Angehöriger der Militärpolizei ausgewiesen und versprochen zu warten, bis jemand kam. Die Waffe auf dem Boden neben ihm und die Art und Weise, wie er etwas auf einem Block notierte, bestätigten den Eindruck, dass er ein Polizist war. Trotzdem musste sie sich vergewissern. In diesem Augenblick sah er hoch und blickte ihr in die Augen.
Wer, zum Teufel, war er? Und warum hatte er so eine starke Wirkung auf sie?
„Was dagegen, wenn ich meinen Gehstock zum Aufstehen benutze?“
„Kommen Sie bloß der Waffe nicht zu nahe.“
„Ich habe diesen Vorfall gemeldet. Das Opfer hier ist eine Frau. Sie hat einen Schlag auf den Hinterkopf abbekommen und sich möglicherweise beim Sturz an dieser Skulptur die Stirn angeschlagen. Sie ist bewusstlos. Atmung und Puls sind regelmäßig.“
Während er sprach, stand er mit geschmeidigen Bewegungen auf, was Fiona verriet, dass er Übung darin besaß. Jetzt bemerkte sie mehr
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