In tödlicher Gefahr
dass ich wissen möchte, warum Sie es getan haben.“
„Weil ich Mitleid verabscheue!“ Seine Stimme bebte vor Empörung. „Und wenn ich eine Familie erfinde, um nicht bemitleidet zu werden, geht das nur mich etwas an.“
„Haben Sie nicht eher einen falschen Enkel erfunden, um Abbie DiAngelo näher zu kommen? Oder war es eher Ben, dem Sie näher kommen wollten?“
Das Gesicht des Professors wurde eine Nuance blasser. „Was sagen Sie da? Was werfen Sie mir vor?“
„Beantworten Sie mir eine Frage: Haben Sie Ben DiAngelo jemals zu sich nach Hause eingeladen, damit er sich Ihre Modelleisenbahnen ansieht?“
Gilroys Augenlider zuckten. „Warum sollte ich das tun? Ich kenne Ben kaum.“
„Meinen Sohn kannten Sie auch nicht, trotzdem haben Sie ihn zu sich eingeladen.“
„Ich kann mich nicht erinnern …“
„Mein Sohn erinnert sich allerdings sehr genau, Professor. Er hat sich sogar auf den Besuch gefreut.“
„Wenn er so sicher ist, habe ich ihn vielleicht eingeladen. Wie gesagt, es ist ein bisschen schwierig, mich zu erinnern, wen ich alles treffe.“
„Was ist mit Eric Sommers? Erinnern Sie sich, ihm begegnet zu sein? Haben Sie ihn zu sich eingeladen?“
John konnte nicht entscheiden, was er zuerst im Blick des Mannes las, Angst oder Wut. Beides war so miteinander verwoben, dass er es unmöglich trennen oder feststellen konnte, ob die Wut gespielt war.
„Das ist empörend!“ erwiderte Gilroy mit leiser, drohender Stimme. „Sie haben keinerlei Recht, mich in meinem eigenen Haus derart zu beschuldigen. Verschwinden Sie, ehe ich Sie Ihren Vorgesetzten melde. Ich habe Beziehungen in dieser Stadt, wissen Sie?“
„Warum beantworten Sie die Frage nicht, Professor?“
„Sie wollen eine Antwort!“ schrie er. „Schön, Sie bekommen eine. Nein, ich habe Eric Sommers nicht zu mir eingeladen. Ich habe nie von Eric Sommers gehört, ehe er gekidnappt wurde. Und ich habe Ben DiAngelo nicht entführt.“ Er strich sich die Krawatte glatt, und seine Hand war bemerkenswert ruhig für einen Menschen, der sich so aufregte. „Wenn Sie jetzt fertig sind … ich komme sonst zu spät zu einer Verabredung.“ Er öffnete die Tür. „Guten Tag, Detective.“
42. KAPITEL
A bbie erwachte mit einem Schrecken. Kerzengerade aufgerichtet, die Augen weit offen, sah sie sich um. Warum hatte sie in der Küche geschlafen? Und weshalb stand Rose am Tresen und brühte Kaffee auf?
Abbie blinzelte, ehe sich der Nebel aus ihrem Hirn verzog und sie wieder klar zu denken begann.
Ben war verschwunden.
Er hatte die Nacht fern von zu Hause, an einem unbekannten Ort, bei einem rücksichtslosen Entführer verbracht. Hatte er schließlich doch geschlafen, da Müdigkeit ihn übermannte, so wie sie? War ihm kalt? Hatte er Hunger? Hatte er Angst?
Fragte er sich, warum sie nicht kam und ihn holte?
Tränen brannten ihr auf den Wangen und verschleierten ihren Blick, als sie Rose ansah. „Wo ist Claudia?“
Rose drehte sich um und lächelte sie kurz an. „Ich habe sie nach Hause geschickt, damit sie etwas schläft. Sie kommt später zurück.“
„Was ist mit dir? Hast du nicht eine Schicht im Diner hinter dir?“
„Ich bin nicht müde. Und ich wollte bei dir sein.“ Sie setzte sich in den zweiten Sessel Abbie gegenüber. „Ich bin froh, dass du geschlafen hast. Du hast es gebraucht.“
Versonnen strich Abbie sich das Haar aus dem Gesicht. „Hat jemand angerufen?“
„John. Er wollte nur wissen, ob Sergeant Tyler hier war. Er will später noch mal anrufen. Und dein Exmann hat sich gemeldet“, fügte sie hinzu. „Er ist gerade gelandet und meinte, dass er in ein paar Stunden hier sei.“
Abbie freute sich nicht auf das Wiedersehen. Jack würde sie vermutlich für Bens Verschwinden verantwortlich machen. Und sie war nicht in der Verfassung, sich seine Vorwürfe anzuhören. Andererseits hatte er das Recht, hier zu sein.
„Deine Mom hat auch angerufen“, meinte Rose.
Ihrer Mutter von der Entführung zu erzählen war eine Qual gewesen. Zusammen mit Marion hatte sie über eine Stunde gebraucht, die völlig deprimierte und verängstigte Irene wieder zu beruhigen. „Wie geht es ihr?“
Rose erhob sich lächelnd. „Sie macht sich Sorgen um dich und will später auch vorbeikommen.“
Das hatte Abbie befürchtet. Nicht den Besuch der Mutter, sondern die Anrufe und die endlose Parade von wohlmeinenden Freunden und Nachbarn, die bei ihr bleiben und sie trösten wollten, obwohl sie doch viel lieber allein wäre.
„Ich
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