In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)
stumm, und das Schweigen hätte noch lange angedauert, hätte nicht Dame Gertrude als erste gesprochen, straff draufzu wie ein Armbrustbolzen.
»Meine Herren«, sprach sie mit leuchtenden Augen, »aus Rom kommend, wo ich meine heilige Pilgerreise zum Abschluß gebracht habe, bin ich heute morgen hier eingetroffen, und ein seltener Zufall hat es gefügt, daß ich Euch hier finde. Welch eine Freude, Euch zu sehen, doch ich kann leider nicht verweilen: ich bin unterwegs in die Saint-Firmin-Kirche, um Gott für das Gelingen meiner Reise Dank abzustatten.«
Und meinem Samson tief in die Augen blickend in einer für jedermann untrüglichen Weise, senkte sie den Schleier über ihr goldenes Haar, rückte ihre Maske zurecht, und fort wandelte sie, ihren frommen Rock majestätisch ausschwingend.
NEUNTES KAPITEL
Die zu Sankt Lukas erlittene Beschädigung hatte mir nicht nur »eine kleine Unbequemlichkeit beim Sitzen« beschert, sondern auch eine andere von größerer Tragweite, die der Leser leicht errät: bei der geringsten Bewegung spürten meine Backen Peinigung, was Fontanette, die jede Nacht den Riegel ihrer Tür zurückschob, um mich in meinem Zimmer zu besuchen, sehr betrübt zur Kenntnis nahm.
»Mein lieber Pierre!« sprach sie, dabei ihre Augen im Halbdunkel glänzten, »hättet Ihr mich doch in meinem jungfräulichen Zustand belassen. Nun bin ich gar zu gelüstig, mit Euch das doppelrückige Tier zu machen, und kann davon sowenig lassen wie vom täglichen Brot. Der ganze Tag ist für mich nur ein Warten auf die Nacht. Und habe ich Eure Arme verlassen, dann träume ich davon in meinem Bett.«
»Aber Fontanette, ist es nicht köstlich, zu träumen und zu harren?«
»Das wäre so, Moussu, wenn sich die Hausarbeit von selbst erledigte. Doch leider harrt sie meiner ebenso, und weil ich sie nun mit weniger Eifer betreibe, hackt Dame Rachel immerfort auf mir herum und drängt den hochrühmlichen Meister, mir den Laufpaß zu geben.«
»Ein Grund mehr, Fontanette, ein bißchen vernünftig zu sein. Du siehst, wie übel mein Rücken zugerichtet ist und daß ich bei der geringsten Bewegung leide. Geh auf der Stelle schlafen, dann bist du ausgeruhter.«
»Nein, mein Pierre, nein«, sagte sie, sich an mich pressend. »Wenigstens noch ein klein bißchen möchte ich von dir haben, eh ich mich schlafen lege.«
Und so erreichte sie am Ende doch, was sie von mir begehrte (und ich von ihr).
Mein Samson war im siebten Himmel und gleichzeitig in Nöten, denn an der Medizinschule hatten die Vorlesungen begonnen, die er wenigstens teilweise besuchen mußte, bis fünf Uhrnachmittags. Zu dieser Stunde sah man ihn dann zum Nadelhaus laufen, mit seinen Heften, dem Schreibzeug und auch seiner Kerze (weil die Vorlesungen noch vor Tagesanbruch begannen). Um zehn Uhr abends ging ich meinen geliebten Samson holen; mir zur Rechten Miroul, eilte ich durch die verödeten Straßen, den Degen in der Hand, die Pistolen im Gürtel. Und das war gut so, denn eines Abends fanden wir das Nadelhaus von fünf oder sechs Spitzbuben belagert, die über Leitern versuchten, die Fensterläden im Obergeschoß aufzubrechen, ohne daß der Krach oder Thomassines Hilferufe die feigen Nachbarn dazu bewogen hätten, ihre Fenster zu öffnen. Im hellen Mondschein schoß ich einen der Diebe ab, Miroul deren zwei; der Rest machte sich aus dem Staube. Auf das Geknalle hin eilte Cossolat mit seiner Stadtgarde herbei, in großem Zorn, daß jemand es gewagt hatte, in seiner Stadt die Thomassine anzugreifen, für die er, obzwar strenger Hugenotte, eine Schwäche hatte. So sehr wie für die Wirtin der
Drei Könige
und für wen weiß ich noch.
Im Saal des Nadelhauses wurden Kerzen aufgetragen. Die gar erregte Thomassine in ihrem Nachtgewand, daraus ihr Busen hervorlugte, wirkte sehr ansehnlich, doch viel schöner noch wollte mir Dame Gertrude du Luc scheinen, die sich in ihrer Verwirrung und Scham bis zum Hals zugeknöpft hatte. Cossolat musterte sie in einer Weise, daß mich die Eifersucht hätte packen müssen, wenn ich ein Recht auf sie gehabt hätte. Samson dagegen trank von dem Wein, den Azaïs uns einschenkte, und fragte immerfort: »Was soll das? Was ist los?« Und freilich wäre er ganz allein imstande gewesen, den Schurken den Garaus zu machen, hätte er nur Waffen bei sich gehabt; doch er war ja stracks von der Schule hergeeilt, wo das Waffentragen verboten war.
»Hauptmann«, sagte die Thomassine erregt, »wozu taugt Eure Stadtgarde, wenn sie die ehrbaren
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