In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)
Fragen, und endlich fand er seine Stimme wieder.
»Mein Pierre, hier ist eine Schändlichkeit im Gange, die ich nicht ertrage«, rief er. »Auch Merdanson, Carajac, Gast und Rancurel sind ganz außer sich: unsere Schule wird in den Schmutz gezogen und unser hochrühmlicher Meister grausam verspottet.«
»Meister Sanche?« fragte ich. »Wie das?«
»Siorac!« rief Merdanson, mit breiten Schultern durch die Menge furchend, ihm hinterdrein seine Gefolgsleute Gast und Rancurel, ebenso Carajac. »Siorac (er war jetzt nahe meinemOhr), diese beschissenen Scheißer – gebe der Herrgott, daß der Höllenteufel sie durch den Arsch pfählt und die Teufelin ihr Gedärm auf die Spindel haspelt! Diese Mistkerle, diese Hosenscheißer, diese Pisser, diese bekackten Kacker – sie treiben Schindluder mit Meister Sanche … Siorac, welch eine Niedertracht! Nie und nimmer sollen sie solchen Popanz durch die Stadt tragen! Wir entehren die Schule, wenn wir zulassen, daß sie unseren Lehrer verunglimpfen.«
»Wer steckt dahinter?« fragte ich.
»Wissen wir nicht, sie sind maskiert«, sagte Carajac und ballte seine wuchtigen Fäuste. »Ich weiß nur, daß ich es denen heimzahlen will!«
Gast und Rancurel nickten beifällig.
»In dem Fall gilt es vorzutasten«, sagte ich. »Ich werde herausfinden, wer sie sind und wie viele. Rührt Euch nicht vom Fleck. Ich bin gleich wieder zurück.«
Ich reckte mich auf die Zehenspitzen und rief »Platz da! Platz da!« Und so sehr läßt sich die Menge von einer resoluten Stimme beeindrucken, daß sie denn auseinanderwich wie das Rote Meer vor Mose und ich ohne Mühe nach vorn gelangte.
Ich brauchte nicht lange zu suchen, um unter den zwanzig Popanzen das Konterfei von Meister Sanche zu entdecken: ein feister Tropf mit Schweinsaugen schwenkte es über seinem Haupt, zum Ergötzen seiner Kumpane.
Es war ein grobschlächtiges Bild, wie eine Vogelscheuche gezimmert. Aber der Kopf trug eine Apothekermütze, und das Gesicht zierte eine über den langen Bart spießende lange Nase: Meister Sanche wäre für jedermann in der Stadt sofort erkennbar gewesen, auch ohne das Namensschild auf der Brust. Und das Schlimmste waren die an seine schwarze Robe gehefteten Reime.
Auf den Hinterbacken stand zu lesen:
Auf diesem Loch der Marsch geflötet
dem Mann, der uns mit Pillen tötet.
Der Spruch auf den Geschlechtsteilen zielte auch auf Samson und mich:
Dem hodenlosen alten Bock
zieht dessen Schüler vor der junge Rock.
Und der dritte, über dem Magen, verkündete:
Guter Christ vom Schwein gern ißt.
Schlechter Christ es lieber mißt.
Und um diese tückische Anklage noch beredter zu machen, baumelten überall an des Meisters Robe auch noch Speck- und Schwartenstücke.
Ich war sprachlos ob so viel grausamer, sinnloser Bösheit. Meister Sanche wurde auf jede nur mögliche Weise diffamiert: in seiner Kunst, seinen Hausgenossen, seinem Glauben. Die Anspielung auf den Glauben war dabei am gefährlichsten, denn er wurde als Ketzer hingestellt und der Ahndung durch die Priester anheimgegeben.
Das schändliche Spektakel brachte mein Blut so sehr in Wallung, daß ich mich um ein Haar auf diesen Fettsack geworfen und ihm den Popanz aus der Hand gerissen hätte. Doch das wäre Irrsinn gewesen, ich wäre untergegangen in der Menge seiner Kumpane, deren Zahl ich nicht kannte. Ich bezähmte mich, trat mit einem Lächeln auf den Lippen (mehr gab meine Maske ohnehin nicht frei) zu dem dicken Kerl hin und sprach im Ton höflicher Gönnerhaftigkeit:
»Monsieur, Ihr habt da einen wundervollen Popanz gebastelt, es ist von allen hier der gelungenste. Gewiß seid Ihr mit Euren Freunden Schüler der Medizin und habt unter der Knute von Meister Sanche arg gelitten?«
»Wo denkt Ihr hin!« wehrte der Tölpel ab. »Der Mediziner nährt sich von Kot, Auswurf und Pisse. Unsere Nahrung ist eine andere: wir sind Juristen.«
»Ah, die Herren Juristen! Dann seid Ihr ja das Alpha und das Omega des Wissens«, sagte ich schmeichelnd. »Und Euerm Popanz zu Ehren würde ich Euch am liebsten zu einem Schmaus einladen, wenn Ihr nur nicht so viele wäret.«
»Aber wir sind hier nur zehn«, sagte der Jurist, »und falls Euch diese Zahl nicht schreckt, so sind wir liebend gern um fünf Uhr Eure Gäste in der
Taverne d’Or.
»Also treffen wir uns um fünf‹, sagte ich, grüßte und zog mich zurück.
Als unsere Mediziner erfuhren, wer hinter diesem Schurkenstreich steckte, fletschten sie die Zähne und wollten
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