In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)
aus Mitleid und weil der Torwächter ihre Schönheit gerühmt hatte. Gleichwohl zauderte ich beim Überholen, schämte mich meiner Neugierde. Und da sah ich sie denn auf einer Mauleselin sitzen, festgebunden an der hohen Rückenlehne eines maurischen Sattels, Arme und Hände hinter der Lehne gefesselt, dabei der Strick um den Bauch des Tieres herumführte. Eine dicke Vettel von gemeiner, widerwärtiger Fratze hielt das Tier am Zaum, auf einem Klepper sitzend, der wohl mehr Schläge als Hafer faßte. An der Spitze ritt Vignogoule in seinem purpurfarbenen langen Hemd, das er zu den Hinrichtungen überstreifte. Doch kein Richter war dabei, was mich nicht wunderte: er mochte sich durch solche unerhebliche Exekution den schönen Morgen nicht verderben lassen.
Von hinten fand ich die Gestalt des jungen Mädchens recht ansehnlich, auch wenn sie ein zerrissenes graues Hemd trug und das Haar kurz geschoren, damit der Strick den Hals ungehindert schnüren könnte. Endlich auf ihrer Höhe reitend, beugte ich mich vor, um ihr besser ins Gesicht zu schauen. Da wandte die Ärmste mir ihr Antlitz zu und stieß einen jähen Schrei aus. Mir erstarrte das Blut in den Adern – es war Fontanette.
»Fontanette, du?« fragte ich mit einem Würgen im Hals. »Wie ist es mit dir so weit gekommen?«
»Ach, mein edler Moussu, das fragt Ihr mich? Ihr habt mich doch aus der Apotheke jagen lassen und mich fälschlich bezichtigt, ich hätte Euch bestohlen.«
»Ich? Wer hat dir das gesagt?« rief ich.
»Dame Rachel.«
»Die Schlange hat gelogen, das schwör ich dir bei meinem Seelenheil!«
»Moussu«, sagte die Vignogoule, »die Verurteilte soll gehängt werden, niemand darf mit ihr sprechen.«
Ich musterte die Vignogoule und empfand Ekel wie vor hundert Kröten. Ihr Gesicht war von erschreckender Gemeinheit, als hätte das Gift, von dem ihr Hirn durchätzt war, auch ihr Gesicht zerfressen und verunstaltet; ihre schlaffen Schielaugen trieften, krumm und platt die Nase, die Lippen dünkten ein verquollenes Wundmal, Wangen und Kinn waren gräulich, behaart und von Pusteln übersät, gar nicht zu reden von ihrem unförmigen Leib, dem dieser widerliche Kopf aufsaß.
Ich lenkte meine Accla hinter dem Maultier mit der gefesselten Fontanette auf die andere Seite und ritt nun zur Rechten der Vignogoule.
»Gevatterin, zehn Sols für dich, wenn du deine Ohren schließt«, sagte ich.
»Moussu«, erwiderte die Vignogoule, dabei ihre kleinen Augen zu glänzen begannen, »sobald eine Verurteilte meinem Mann in die Hände gegeben ist, gehört alles ihm: ihre Kleidung, ihr Leib, ihre fünf Sinne, ihr Atem.«
»Gevatterin, zwanzig Sols für drei Minuten«, bat ich.
»Mein edler Moussu, und wäre es auch nur für drei Minuten, ich kann nichts verkaufen und nichts verleihen von der Verurteilten: nicht ihr Ohr und nicht ihren Atem.«
»Gevatterin, dann vierzig Sols«, sagte ich.
»Mein edler Moussu, Ihr habt ja gehört!«
»Weib, einen Golddukaten für mein Begehr, oder ich stoße dir meinen Degen in den Wanst!« sagte ich grimmig.
Bei dieser Drohung wagte es die Vignogoule nicht, noch weiter zu feilschen. Wortlos streckte sie mir die Hand entgegen. Ich legte ihr einen Dukaten drauf, den sie sogleich an ihre Wulstlippen führte, um mit den Zähnen draufzubeißen. Dann steckte sie ihn in den Gürtel, holte einen Rosenkranz hervor, senkte die Nase und ließ die Kugeln durch die Finger rinnen.
Ich lenkte meine Accla wieder an die Seite meiner armen Fontanette.
»Fontanette, ich habe dich nie des Diebstahls bezichtigt! Glaubst du es mir jetzt?« fragte ich.
»Ja, ich glaube es.«
»Nach deiner Entlassung habe ich dich überall gesucht!«
»Ja, ich weiß. Ich war in Grabels.«
»In Grabels, Fontanette? Das ist doch ganz in der Nähe von Montpellier! Zehnmal bin ich da durchgekommen! Und in alle Winde habe ich deinen Namen gerufen!«
»Ich weiß. Allen hatte ich gesagt, sie sollen behaupten, sie kennten mich nicht.«
»Oh, Fontanette! In mich hattest du kein Vertrauen, du glaubtest der Dame Rachel!«
Stumm schaute sie mich an, dabei ihr die Tränen über die Wangen liefen.
»Was hast du in Grabels getan?«
»Ich war Magd in einem kleinen Landhaus, dessen Besitzer mich geschwängert hat, nachdem er mir die Heirat versprochen.«
»Du hättest ihm nicht nachgeben sollen«, sagte ich, obwohl ich wußte, daß ich unrecht tat; vielleicht war da ein Funken Eifersucht.
»Ha, Moussu«, sprach sie mit einem vorwurfsvollen Blick, der mich durchbohrte,
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