In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)
hatte ihn mir zum Schutzengel bestimmt – in puncto Sicherheit, versteht sich; was nämlich seinen Wandel betraf, seine Liebschaft mit Azaïs aus dem Nadelhaus, da wäre Monsieur de Gasc, hätte er davon erfahren, in Grimm geraten. Wieso aber maßt sich der Bruder an, im Namen Gottes den Bruder zu richten?
Ich ritt an der Spitze unseres kleinen Trupps, beobachtete die Fenster, ob nicht ein Arkebusenlauf mich anvisieren mochte, und war nicht minder damit befaßt, meine Accla zu lenken, deren Hufe auf dem glänzenden Pflaster rutschten, weil es während der Nacht leicht geregnet hatte. Unbehelligt erreichte ich das Stadttor, und da nun mußten wir, weil maskiert und mit so viel Gepäck versehen, unsere weiße Pfote vorzeigen: die uns von Cossolat ausgestellten Passierscheine.
»Edler Moussu«, sagte der Posten, ein kugelrunder Mann mit freundlichem Gesicht und treuem Hundeblick, »da Ihr so schnelle Pferde habt, werdet Ihr bald den Hauptmann Cossolat und seinen Trupp einholen. Sie begleiten Vignogoule und sein gräßliches Weib, welche beiden eine arme Jungfer zum Henken führen, die ihren jüngst geborenen Bankert ermordet hat. Ein hübscheres Mädchen sah ich noch nie, und ich sage: einJammer, daß Gottes Werk und Ebenbild solcherweise zerstört wird.«
»Aber werden die Verbrecher nicht eigentlich in einem Olivenhain vor dem Salinen-Tor aufgeknüpft?« fragte ich. Erinnerte ich mich doch, daß ich vor fünfzehn Monaten, von Narbonne kommend, den Galgen dort aufragen sah und rings an den Bäumen die Teile eines zerstückelten Mädchens gewahrte, das man wegen der gleichen Untat gerichtet hatte.
»Edler Moussu, der Ort ist jetzt ein anderer, weil der Besitzer des Feldstücks nicht weiter verpachten wollte, damit der Gestank ihm nicht die Oliven verdürbe. Und da hat die Stadt einen Hain gekauft, dessen Ölbäume nicht mehr tragen, an der großen Straße nach Nîmes. Dort findet Ihr bei seinem gemeinen Tun Vignogoule, der lieber erst sein gräßliches Weib und dann sich selbst aufhängen sollte, weil sie so grausam sind und so habgierig, allen verhaßt; bei ihrem abscheulichen Anblick verdreht es einem den Magen. Ach, Herr, viele junge Mädchen habe ich hier vorbeiziehen sehen, die man zum Galgen führte, weil sie ihre Frucht getötet hatten, während die Väter ihrer Kinderchen in der Stadt umherstolzieren, sich gar noch brüsten, die armen Dinger geschwängert zu haben, und über ihre Naivität spotten, daß sie ihren Heiratsversprechen glaubten!«
»Recht hast du, Wächter, der Mensch ist ein Schurke und die Justiz ein Hinkebein«, sagte ich.
Auch im übrigen hatte der brave Mann recht vermutet. Unsere schnellen Pferde holten Cossolats schwere Gäule bald ein. Der Regen der Nacht war auf der Landstraße eher verdunstet als auf dem Stadtpflaster, und die Tiere der Soldaten wirbelten uns so viel Staub in Augen und Nase, daß ich zügiges Überholen befahl, zumal ich Cossolat nur einen flüchtigen Gruß zu entbieten gedachte, weil ich ihm noch gram war für sein Gebaren im Nadelhaus. Allerdings nahm ich, ehe ich meinem Pferd die Sporen gab, die Maske ab, unter der mir sehr warm wurde und die mir zu nichts mehr nutze war, da meine Feinde jetzt hinter der Stadtmauer in ihrem frömmlerischen Haß schmorten.
»Samson, mein Herr Bruder, aufgewacht!« rief ich. »Gebt Euerm Pferd die Sporen! Damit wir nicht weiter den Staub dieser trägen Gäule schlucken! Sollen sie mit unserem vorliebnehmen!«
Ich fiel in Galopp, gefolgt von Samson und Miroul, der seinezwei Araber sehr geschickt lenkte. Doch weil der Zug da vor uns die ganze Straßenbreite einnahm, mußte ich in Trab und dann in den Schritt fallen. Den Soldaten rief ich zu, den Weg freizugeben, doch sie achteten meiner nicht, machten sich gar noch breiter. Ob ihrer Unverschämtheit erbost, erwog ich schon, den Degen zu zücken und ihren Pferden die Kruppen zu bearbeiten, als Cossolat auftauchte. Ich grüßte ihn ziemlich kühl, hierauf er mir höflicher dankte, als ich es gewärtigt hatte, vielleicht reute ihn seine Schroffheit vom Vortag.
»Monsieur de Siorac, was ist Euer Begehr?«
»Vorbeireiten zu dürfen, wenn Ihr gestattet, Monsieur.«
»Soldaten, laßt Monsieur de Siorac passieren!« rief Cossolat. »Er hat größere Eile als wir.«
Da drängten die Männer an die rechte Seite heran, und mich in Trab setzend, sah ich vor mir den Rücken des Mädchens, das man zum Galgen führte. Ich ließ mein Pferd Schritt gehen, wollte die Kleine von Angesicht sehen,
Weitere Kostenlose Bücher