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In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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großen glänzenden Schlüssel unter der Robe hervor und führte ihn zeremoniös in das Schlüsselloch einer Tür ein, deren Eichenplanken mir so alt und verhärtet schienen, daß sich da schwerlich ein Nagel hätte einschlagen lassen, geschweige daß jemand sie hätte aufbrechen können, da sich auch noch drei Eisenbänder über ihre ganze Breite spannten. Meister Sanche mußte Kraft aufwenden, um den gewaltigen Schlüssel im Schloß zu drehen. Dann aber bewegte sich die schwere Tür geräuschlos in den bestens geölten Scharnieren.
    Es galt, etliche Stufen hinabzusteigen, in ein geräumiges Gewölbe, das mir beim Eintreten zunächst dunkel vorkam; doch als die Tür hinter uns wieder verriegelt war, fand ich den Raum hinlänglich gut erhellt durch einen mit dicken Eisenstangen gesicherten Lichtschacht.
    »Hier lagern meine Schätze«, sprach Meister Sanche, dabei seine Augen jäh aufleuchteten und die Brust ihm schwoll. »Ali Babas Höhle barg nie kostbarere Schätze. Darum auch muß ich sie schützen vor Dieben und sonstigen Galgenstricken durch diese unüberwindbare Tür, die Ihr durchschritten habt, und durch die Eisen dieser Luke da, die ebenerdig in meinen kleinen Hof mündet, der Tag und Nacht von zwei so gefräßigen wilden Doggen bewacht wird, daß nur Balsa und ich uns ihnen nähern dürfen, um sie zu füttern.«
    Und während er sprach, sah man wahrhaftig zwischen den Eisenstäben die grausigen Schnauzen und Reißzähne der beiden Köter, die noch den Zutritt zur Hölle hätten verwehren können.
    »Dieser Raum beherbergt all die Stoffe und Substanzen, die Bestandteil meiner Medizinen werden und die – nehmt es zur Kenntnis, meine lieben Neffen – allesamt in der Natur vorkommen, so wahr der Herrgott in seiner erhabenen Weisheit Vorkehr traf und dem Bösen stets gleich auch das Heilmittel an die Seite setzte.«
    Mir gefiel diese Bemerkung gar sehr, und ich barg sie sogleich in meinem Gedächtnis, zu späterem rechten Gebrauch vor Fogacer, dessen ketzerische Auslassungen über das Böse mich verwirrt hatten.
    »Die Substanzen, aus denen ich meine Heilmittel herstelle, haben dreierlei Ursprung«, fuhr Meister Sanche fort, »sie sind tierischer, pflanzlicher oder mineralischer Herkunft.«
    Und nach einer Pause:
    »Tierischer Herkunft sind nur wenig Substanzen, davon etliche aber sehr teuer, da auf gefahrvollen Pfaden aus dem Morgenlande beschafft.« Er holte einen Schlüssel unter der Robe hervor und öffnete einen kleinen Schrein. »Gewiß, man braucht nicht immer so weit in die Ferne, findet bereits rings um Montpellier den Honig, den die blonden Immen aus dem Blütennektar saugen und in ihren Waben verstauen, welche uns auch noch das Wachs liefern. Honig und Wachs, wiewohl von medizinischem Nutzen, sind auch in häuslichem Gebrauch und Euch wohl vertraut. Was Euch eher verwundern wird, sind die in der Färberei viel verwendeten Scharlachkörner.«
    »Sind diese Körner pflanzlicher Herkunft?« fragte ich.
    »Mitnichten, mein Neffe. Sie stammen von der Schildlaus, und diese gedeiht auf der Kermès-Eiche, die Ihr im Languedoc auf beliebiger Heideflur findet. Die Schildläuse gilt es nur von den Bäumen zu lesen.«
    Meister Sanche unterbrach sich jäh, um sich zu vergewissern, daß seine Rede uns wohl durchdrungen hatte, dann fuhr er fort:
    »Meine Neffen, dieses Gefäß, das ich nun öffne – ganz wenig nur, um Euch nicht benommen zu machen –, enthält eine kostbare Substanz, stammt sie doch von einem asiatischen Hirsch, der sie zwischen den Beinen trägt, an seinen
pudenda
1 . Es ist Moschus. Sein Geruch ist wundersam stark, doch in kleinen Mengen findet er Verwendung bei der Parfümherstellung und bei einigen Mitteln, über die ich mich nicht näher auslassen will.«
    »Beleben diese Mittel die Venuslüste?« fragte ich.
    »Mitnichten«, sagte Meister Sanche, wobei sein Auge funkelte. »Und beherzigt, mein lieber Neffe, daß in Eurem Alterdas Blut an sich hinlänglich Reizmittel ist. Hier nun in kleiner Menge eine sehr kostbare Substanz, die man für Gold ersteht, die
graue Ambra.
Man findet sie im Gedärm eines Säugetiers der Meere, im Pottfisch, der einen Menschen mit einmaligem Zuschnappen verschlingen kann.«
    »Ist es derselbe, der in der Bibel den Jona schluckte?« fragte Samson.
    »Selbiger, und nicht sein Verwandter, der Wal; dem wäre das kaum möglich, da sein Schlund sehr eng ist.«
    Meister Sanche schloß die kleine Dose mit der Ambra, verschloß auch den Schrein mit den tierischen

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