Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
Vom Netzwerk:
ist Witwe, ist Herrin ihrer selbst.«
    »Aber Pierre, der Herrgott im Himmel sieht mein schändliches Tun.«
    »Es ist weniger schändlich als andere Sünden, die ich aufzählen könnte. Und glaubt mir, wahrlich viel hätte der Herrgott zu schaffen, wenn er bis in jedes Staubkorn schauen wollte. In diesen Zeiten der Prozesse, der Scheiterhaufen, stinkenden Verrats und unzähliger Brudermorde, glaubt Ihr da ernstlich, er hätte sein Auge auf diesen läppisch kleinen Sünden und wöge sie auf nämlicher Waage?«
    »Es ist keine läppische Sünde«, begehrte Samson auf. »Ge setz bleibt Gesetz!«
    »Hat nicht auch Christus das Gesetz verletzt, als er den Pöbel hinderte, das ehebrecherische Weib zu steinigen? O Samson, Ihr wollt Dame Gertrude du Luc, diesen schönen Engel des Himmels, nicht wiedersehen? Könnte Euch je eine zärtlichere Schwester beschieden sein? Eine liebreichere Gefährtin? (Hier wurde er plötzlich weich, Tränen drängten ihm in die Augen.) Zeigt Euch zum mindesten dankbar, daß sie Euch gepflegt hat.«
    »Aber ich habe auf Euer Geheiß geheuchelt, ich war ja gar nicht krank«, sagte er unschuldhaft.
    »O doch! Ihr kranktet zwar nicht am Fieber, aber an einem großen Mangel. Sonst hättet Ihr die Pflege der Dame Gertrude nicht so wonnevoll genossen.«
    Das stimmte ihn nachdenklich; er begann sich anzukleiden, mucksstill und immer noch Tränen vergießend. Und ich, an seiner Seite, war nun auch stumm, damit meine Worte höhlende Wirkung täten.
     
    Als ich Samsons Zimmer verließ – mein Bruder folgte mir, nun schon ohne Tränen und nicht mehr so trübselig mürrisch wie beim Erwachen –, stieß ich auf Fontanette, die so tat, als wische sie die Treppe; aber sie hatte wohl an der Tür gelauscht, denn sie dünkte mir von einem ernsten Gedanken bewegt, der ihre Wangen glühen und ihren Busen wogen ließ. Für Samson hatte sie einen mitleidigen Blick, mich indes schaute sie freundlichan und sagte, ihr hochrühmlicher Meister (so nannte hier jedermann Meister Sanche) wünsche mich in der Offizin zu sprechen, dabei sie mir Führung anbot, als liefe ich Gefahr, mich im dicksten Wald zu verirren. Ich widersprach tunlichst nicht, sie warf den Scheuerlappen hin und eilte mir die Treppe voraus, anmutig beschwingt und so sehr aus den Hüften wiegend, daß meine Blicke sie warm umfingen.
    Die Offizin war ein großer schöner Raum, erhellt von zwei Kreuzstockfenstern aus lauter kleinen Vierecken mit schön bemalten Glasscheiben darin. In ganzer Länge den Raum durchmessend, stand dort ein Tresen aus poliertem Eichenholz, bestückt mit unendlich vielen Waagen aus rötestem Kupfer, kleine und große und alle blitzblank, so daß sie strahlten wie Sonnen. Hinter dem Tresen sah ich zwei Gehilfen und den Obergesellen Balsa, der ob seiner Scheeläugigkeit einem Zyklopen ähnelte, das Kinn, die Schultern und die Hände hünenhaft, obwohl er im Grunde recht klein war und von kurzen Beinen. Bei meinem Eintreten grüßte er ehrerbietig, und ich tat höflich Erwiderung, indem ich ihn bei seinem Namen nannte, leutselig freundlich nach meines Vaters Art, wenn er zu seinen Soldaten sprach. Ob ihm dies behagte oder mißfiel, war seinem Gesicht nicht anzumerken, es blieb ausdruckslos wie Marmor, indes er mit seinem Stöckchen auf den Tresen schlug und die beiden Gehilfen mich grüßten – was ich mit einem Kopfnicken erwiderte, da ich nicht wußte, wie ich diese rituellen Artigkeiten zu nehmen hatte. Balsa, mit einer wundersam flötenden Stimme aus seinem gräßlichen Hünengesicht, bat mich und meinen Herrn Bruder, Platz zu nehmen, der hochrühmliche Meister werde sich sogleich einfinden.
    Ich setzte mich. Hinter dem Tresen, über die ganze Länge der Wand hin und bis zu der hohen Decke hinauf, prangten in strenger Ordnung eine Unzahl von Töpfen in den Regalen, aus Fayence die einen, aus durchsichtigem Glas die anderen, und alle verzeichneten mit abgekürztem lateinischem Namen die inliegenden Drogen, Würzstoffe, Spezereien oder Medizinen: ein Anblick, der in besonderer Weise Samsons Aufmerksamkeit zu erregen schien; erstmals nach der Begegnung mit Dame Gertrude tat er nun plötzlich die Augen auf und überflog, eines nach dem anderen, diese vielen Behältnisse so eifervoll und begierig, als wär’s ein Schatz. Gewiß konnte keine der Apotheken,die wir in Sarlat gesehen, mit dem Reichtum und der Fülle hier wetteifern, aber Samson war so sehr des Staunens voll und seine Augen glänzten in einem Maße, daß ich mich

Weitere Kostenlose Bücher