In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)
reagieren sehr dumm: sie schicken ihre Kinder auf den Vorplatz der Sankt-Peters-Kathedrale, dort lauthalsdie Psalmen Davids zu singen, wenn die Papisten ihre Messe zelebrieren.«
»Aber was habe denn ich mit diesem Hader zu tun?« fragte ich verwundert. »Ich bin gerade erst angekommen. Ich will hier Medizin studieren und mich nicht in Tumulte mengen.«
»Eben das möchte Monsieur de Joyeuse aus Euerm Munde hören. Weil Ihr so mutig wart in den Corbières-Bergen, argwöhnt hier mancher Katholik, der Prinz von Condé habe Euch geschickt, damit Ihr Euch an die Spitze der Reformierten stellt und die Gewalt in der Stadt übernehmt.«
»Ich?« rief ich verwundert. »Was ist das für eine Mär! Ich Anführer der Reformierten? Mit meinen fünfzehn Jahren? Wer soll das glauben?«
»Herr Scholar«, sprach Cossolat, und sein schwarzes Auge leuchtete auf, »Monsieur de Joyeuse wird von Euch entzückt sein: Ihr habt eine geübte Zunge! Aber ist auch Euer hübscher Bruder darin talentiert?«
»Leider nein, der ist fast stumm, und wenn er redet, dann mit einer verheerenden Aufrichtigkeit, die ihn schlimmsten Gefahren aussetzt.«
»Nun, dann lassen wir ihn hier und sagen, er müsse sich von dem schleichenden Fieber erholen, das ihn auf der Reise befallen.«
Bei diesen Worten verschlug es mir jäh die Sprache.
»Ihr seht, ich weiß eine Menge Dinge«, sagte der Hauptmann lächelnd. »Das verlangt mein Beruf.« Er nahm mich beim Arm. »Kommt, Herr Scholar, säumen wir nicht. Mein Soldat überläßt Euch sein Pferd. Monsieur de Joyeuse wartet nicht gern.«
Wir ritten weniger schnell, als Cossolat gern gewollt hätte, die engen, gewundenen Gassen waren voller Menschen, darunter viele Mädchen und Hausfrauen, die ihre Tagesbesorgungen machten. Wir ritten im Schritt, was mir nur lieb war, gab es doch viel zu sehen in den Straßen.
»Herr Scholar, mir will scheinen, Ihr schielt nach den Röcken«, bemerkte Cossolat grinsend.
»Nein, so tief nicht«, erwiderte ich, »doch mein Sitz zu Pferde gewährt mir erfreuliche Einsichten in die Mieder, die hierorts, gottlob, kein Busentuch tragen.«
»Der Hitze wegen in unserem Languedoc! Und warum auch geizen mit den naturgegebenen Reizen? Die jungen Mädchenhier sollen die hübschesten im Königreich sein, und manch einer behauptet, ihnen verdanke Montpellier seinen Namen:
Mons puellarum
1 habe unsere Stadt ursprünglich geheißen. Sie ist für mich die schönste Stadt in Frankreich. Um alle Schätze in der Welt würde ich Montpellier nicht verlassen, selbst wenn der König mir Paris und seinen Louvre schenkte.«
Mir fiel der Messerschmied Pécoul ein, der genauso geprahlt hatte.
»Allerdings heißt es, Toulouse und Marseille seien größer«, sagte ich, um meinen Begleiter ein bißchen zu stacheln.
»Die Größe ist Nebensache. Was schätzt Ihr mehr an einem jungen Mädchen: die Größe oder die Schönheit?«
»Seine Schönheit, Monsieur, keine Frage! Und fürwahr, Montpellier ist die prächtigste Stadt, die ich je gesehen. Aber ich kenne Paris nicht.«
»Ihr wäret enttäuscht, wenn Ihr die Hauptstadt sähet!« sagte Cossolat. »Wir haben hier unterirdische Kanäle, die unser Schmutzwasser ableiten. Solche Bequemlichkeit kennt Paris nicht. Es ist ein Schweinekoben, Herr Scholar, ein stinkender Pfuhl! Spülwasser, Pisse und Kacke, alles wandert dort auf die Straße. Auch kommt man nicht vom Fleck in diesem Gewimmel von Karren. Und überall ein ohrenbetäubender Lärm! Und dann die Frechheit der Pariser, bis hin zu den Pagen, Lakaien und sonstigen Schurken – Ihr würdet hundertmal den Degen ziehen, wäret Ihr nicht ein Christ!«
Reden und Ereiferungen dieser Art sollte ich noch tausend und aber tausendmal von den Lippen der hiesigen Bürger hören, die ganz vernarrt waren in ihre schöne Stadt. Und auch ich war von ihre Charme bald so überwältigt, daß ich nach etlichen Monate die gleichen eifernden Lobreden im Munde führte und Paris nicht mehr gelten ließ – ich, der ich nordwärts nie einen Schritt über das Périgord hinaus getan hatte.
»Wir befinden uns hier in der Rue de l’Aiguillerie«, sagte Cossolat, »und biegen nun rechts ab in die Rue Bocador, von manchen auch Bouques d’Or genannt. Monsieur de Joyeuse wohnt in der einstigen Residenz des Finanzmannes Jacques Cœur: ein sehr schöner Wohnsitz und eines Königs würdig. Deshalb hat 1564 unser König Karl IX. darin Quartier genommen,Gott schütze ihn! Aber Ihr werdet in Montpellier noch andere, nicht minder
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