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In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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auch wenn er es noch nicht in die gebührenden Worte kleiden kann. Monsieur de Siorac, habet die Güte, Platz zu nehmen.«
    »Herr Vicomte«, erwiderte ich auf französisch (Monsieur de Joyeuse hatte zu mir in der Sprache des Nordens gesprochen, und ohne den mindesten Akzent, dagegen er mit seinem Lakaien zuvor okzitanisch geredet hatte), »Herr Vicomte, ich kann sehr wohl stehen.«
    Und abermals verbeugte ich mich.
    »Aber nicht doch, Monsieur de Siorac! Bitte nehmt Platz. Couiza«, wandte er sich an seinen Lakaien, »rücke für Monsieur de Siorac einen Sessel heran.«
    Da er dies nicht gleich befohlen hatte, begriff ich, wie recht mein Instinkt mich beraten hatte: durch meine Zurückhaltung blieb ein Vorrang gewahrt, den Monsieur de Joyeuse tunlich beachtet wissen wollte.
    Ich nahm also Platz. Der Hauptmann machte eine steife Verbeugung nach Soldatenmanier und fragte:
    »Herr Vicomte, soll ich mich zurückziehen?«
    »Mitnichten, mein lieber Cossolat, bleibt. Vielleicht brauche ich Aufhellung von Euch. Setzt Euch.«
    »Herr Baron«, beschied Cossolat mit einer weiteren Verbeugung, »zu gut kenne ich meine Pflicht, als daß ich mich in Eurer Gegenwart hinsetzen würde.«
    »Schluß mit den Zeremonien, mein lieber Cossolat!« befahl Monsieur de Joyeuse, dabei er eine seiner Schüsseln aufdeckte, aus der ein köstlicher Duft entwich. Doch keineswegs hieß er Couiza einen Sessel bringen, und Cossolat blieb stehen.
    Ha! dachte ich, welch verfängliche Etikette, und wieviel Fußangeln der gute Anstand bereithält. Man bittet dich, Platz zu nehmen, und man wäre beleidigt, wenn du der Aufforderung folgtest!
    »Monsieur de Siorac, entschuldigt vielmals, daß ich mir die Freiheit nahm, Euch am heutigen Morgen zu belästigen. Mein Amt gebietet mir, über alles Kenntnis zu haben, was in diesem Landstrich geschieht, und wenn Ihr gestattet, möchte ich aus Euerm Munde hören, was sich in den Corbières-Bergen zugetragen.« Und wie nebenbei setzte er hinzu: »Aber möchtet Ihr gütigst den kleinen Imbiß mit mir teilen?«
    Bei allen siebenundsiebzig Teufeln der Hölle, meine Versuchung war riesig! Diese Fleischspeisen! Diese Weine! Die leckeren Düfte da unter meiner Nase, meinem Schnabel so nah! Schon wollte ich unterliegen, da wurde ich gewahr, daß mein grausamer Versucher mitnichten befohlen hatte, mir ein Gedeck aufzulegen. Ich senkte die Lider und lehnte mit großem Dank ab.
    »Wohlan, ich lausche Euch«, sagte Monsieur de Joyeuse und führte sich einen knusprig gebratenen Taubenflügel zum Munde, den meine Augen zwanghaft verfolgten.
    Ich besann mich, welcherweise mein Vater vor der Familie und dem Gesinde von der Einnahme Calais erzählt hatte: frisch von der Leber weg und in lockerem Ton. Ich entschied, es ihm gleichzutun. Denn es dürfte dem Zuhörer rechte Pein bereiten, wenn der Erzähler den Mund gar zu voll nimmt beim Hervorkehren seiner Tapferkeiten; großen Dank weiß er hingegen, wenn ihm in einer Weise berichtet wird, daß er selbst sich an des Helden Stelle versetzen kann.
    Monsieur de Joyeuse schien wundersam erheitert von meiner Geschichte, und als ich zum besten gab, wie ich Baron Caudebec sein Fäßchen Malvasier abnahm und wie Espoumel sich erkundigte, ob er nach vollführter Mission zurückkehren müßte, um sich hängen zu lassen, legte Monsieur de Joyeuse den Kopf gegen die Sessellehne und lachte herzhaft, bis ihm die Tränen rannen.
    Anne de Joyeuse, der mir mit glänzenden Augen und offenem Mund zugehört, bat den Vater um Erlaubnis zum Sprechen, bekam sie sogleich und stellte mir mit seiner feinen, singenden Stimme eine Menge Fragen zu meinem Bericht. Alles beantwortete ich mit großer Geduld, dabei ich die schlichtesten Worte wählte und mit Gesten und Grimassen nachhalf.
    »Ha, Monsieur de Siorac«, sprach Monsieur de Joyeuse, als ich geendet hatte, »wäret Ihr nicht Scholar der Medizin, was gäbet Ihr für einen vorzüglichen Pädagogen ab an Stelle jenes schmutzigen Pedanten, der meinem Sohn die Geschichte unserer Könige beibringt. Aber darf ich fragen, Monsieur (hier änderte er jäh seinen Ton und die Miene), ob Euer Herr Vater am Bruderkrieg teilgenommen, darunter die Untertanen des Königs so arg leiden mußten?«
    Diese Frage verwunderte mich, denn mir wollte scheinen, daß er die Antwort bereits kannte.
    »Keineswegs, Monsieur le Vicomte«, gab ich prompt zurück. »Wie sehr meinem Vater auch das Herz blutete, daß die Reformierten für rechtlos erklärt wurden, er mochte dennoch nicht

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