In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)
übermenschlicher Menschlichkeit werden fortleben in uns und noch in denen, die nach uns kommen.
Brevis a natura nobis vita data est, at memoria bene redditae vitae est sempiterna.
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Beim Aufsagen dieser Sentenz festigte sich seine Stimme wieder, und sein Gesicht gewann etwas an Farbe, als wären die lateinischen Worte von kräftigender Wirkung und verliehen ihm – allein schon durch ihren erhabenen Klang – Glauben und Zuversicht in sein irdisches Geschick. In solcher Weise gestärkt, griff der Meister spontan zum Löffel und tauchte ihn in die dünne Suppe, die Fontanette uns mit bekümmerter Miene austeilte, dabei sie, als sie meinen Teller füllte, meine Hand berührte – die ich freilich jäh zurückzog, weil Dame Rachel mit ihren Achataugen sich vom Tun der armen Kleinen nichts entgehen ließ. Aber darf ich hier ohne allzuviel Scham eingestehen, daß mich trotz aller Bekümmernis diese Berührung höchst verzückte? Es fiel mir schwer in meinen jungen Jahren, mit den Gedanken lange beim Tod zu verweilen oder gar, so prall im Saft, zu glauben, daß er eines Tages auch mich ereilen könnte.
Allerdings ließ mich der Brief aus Réalmont mein Fernsein von Mespech noch bitterer empfinden. Besäße ich doch die Weisheit, die mein Vater mir zusprach! Leider aber, wie nachfolgend zu erfahren, pulste das Blut gar zu lebhaft in meinen jungen Adern, weder Einsamkeit noch Trauer konnte ich längere Zeit ertragen.
Am Abend in meinem Zimmer, noch tief bewegt vom Tode jenes guten Menschen, vermochte ich nicht einzuschlafen, hierauf ich mich vor Samsons Tür begab und klopfte, jedoch vergebens. Sicherlich schlief er schon, nackt auf seiner Decke liegend, da es stickig heiß war, und träumte von Dame Gertrude. Ich drang in Fogacers Zimmer ein, ohne anzuklopfen, denn er schob nie den Riegel vor. Aber der Bakkalaureus war ausgeflogen, gewiß ließ er sich trösten, ich wußte bloß nicht wo und durch wen: in Liebesdingen war Fogacer verschwiegen und zugenäht. Dagegen ich, an diesem Abend so sehr einer zarten Umarmung bedürftig, diese Zuflucht nicht fand, dennfreitags –
veneris dies
, am Tag der Venus – empfing die Thomassine ihren Kanonikus, der sehr zum Frommen einer wohlgeordneten Mildtätigkeit die klingende Münze, die er von den Gläubigen für die gewährten Ablaßtage erhielt, trefflich einzusetzen wußte. So wechselten die rettungbringenden Münzen aus der Geldkatze des Sünders unter das Kopfkissen der Sünderin, ohne daß jemand, weder in dieser noch in der anderen Welt, Schaden nahm: der Sünder gewann sein Fegefeuer, der Kanonikus seine Gelöstheit, und die Sünderin, so bezahlt wie gehabt, war obendrein freigesprochen. Denn obwohl die Thomassine behauptet hatte, sie brauche sich nicht mehr zu verkaufen, verlieh sie ihren Körper zu hohen Zinsen an drei, vier gut betuchte Persönlichkeiten der Stadt, was mich zwar nicht eifersüchtig machte, mir aber Ungelegenheiten bereitete, da ich zu meiner Trösterin weniger oft Zutritt erhielt, als ich es gern gewollt hätte.
So strebte ich also – Samsons, Fogacers und der Thomassine beraubt – wieder meinem Zimmer zu, wo mir die Schwüle unerträglich dünkte. Am hellen Schein des Mondes tat sich mir kund, daß zumindest Selene mir, wie einst dem Endymion in seiner Grotte, auf gar zärtliche Weise Gesellschaft leisten könnte. Nackt, wie ich war, schulterte ich meine Schlafmatte und erstieg die Terrasse, wo die Fliesen zwar noch warm, jedoch ein frischeres Lüftchen wehte. Von dieser Anstrengung in Schweiß versetzt, kehrte ich in mein Zimmer zurück, um mich mit Wasser zu besprengen und – Onkel Sauveterre möge mir verzeihen – mit einem Parfum zu bestäuben, das mir die Thomassine geschenkt hatte. Erfrischt stieg ich wieder auf die Terrasse, war aber bei meinem Hin und Her geräuschvoller als zuträglich gewesen.
Ach, wie schön lag Montpellier im Mondschein vor mir, wie prächtig erschienen mir seine sich staffelnden Terrassen, wie freundlich seine Stille – nichts mehr vom Lärm des Tages, verhallt die gellenden Schreie der Straßenverkäufer, die Stiefelgeräusche auf dem unebenen Pflaster, das wirre Geschwätz, das Karrengepolter, das Hufgetrappel. Jeder hatte sich in seins zurückgezogen hinter wohlverschlossene Türen. Doch wie berückend die Schönheit dieser einzigartigen Stadt auch sein mochte, mein Vergnügen war getrübt, da ich es mit niemandem teilen konnte. Und bald fühlte ich mich auf noch schlimmereWeise allein mit meinem traurigen
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