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In Vino Veritas

In Vino Veritas

Titel: In Vino Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Henn
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Sprich: bei Julius zu reservieren. Sie kamen von überall.
Natürlich aus Bonn, Koblenz und Köln, aber auch aus München, Hamburg,
Frankfurt. Selbst aus Amsterdam und Luxemburg waren Reservierungen eingegangen.
Die Welt zu Gast im Ahrtal. Was für ein blutiges Bild würde sie davon zeichnen,
dachte Julius. Betrübt goss er Milch in seinen geliebten Rhabarber-Sahne-Tee.
Auch das sonst genüsslich zelebrierte Ritual, den Kandis am Stil aufzulösen,
ließ Julius’ Sorgen nicht wie Zucker in heißem Tee verschwinden. Julius’ Sorgen
waren aus Druckerschwärze, und sie lasen sich so: »Mordserie im Ahrtal«
(Süddeutsche Zeitung), »Rotweinmörder schlug wieder zu!« (Express), »Bluternte
geht weiter« (Bild). Julius hatte über den SWR auch schon erfahren, wie die niederländische Presse den brutalen Mörder getauft
hatte: »Rode Beest« – Rote Bestie. Markus Brück war, so hatte die
Spurensicherung der Polizei herausgefunden, umgebracht worden. Der Mörder hatte
ihn in die Presse gesperrt, den Öffnungsmechanismus verkeilt und Brück bei
lebendigem Leib gepresst. Kratzspuren im Inneren der Maschine bewiesen, dass
Brück noch versucht hatte herauszukommen. Diese Kaltblütigkeit schockierte
Julius. Es war eine Sache, jemanden bewusstlos zu schlagen und ihn in einem
Maischebottich ertrinken zu lassen. Doch einen Menschen umzubringen, während
man seine Schreie hört und die Geräusche, wie seine Knochen splittern –
das erforderte tiefere Abgründe. Was Julius zusätzlich Kopfschmerzen bereitete:
War beim ersten Mord noch möglich gewesen, dass der Täter im Affekt handelte, vielleicht
aus einem Streit heraus, so steckte diesmal ganz klar Absicht dahinter. Und wer
bereits zwei Menschen umgebracht hatte, der würde wahrscheinlich vor weiteren
Morden nicht zurückschrecken. Denn was hatte der Täter noch zu verlieren?
Julius nahm einen großen Schluck und schloss die Augen, um den warmen Tee voll
zu genießen. Vergeblich. Selbst der fruchtig-cremige Geschmack konnte ihm keine
Sekunde der Muße bescheren. Im Tal lief ein Mörder herum. Und niemand wusste,
wer der Nächste auf seiner Liste war.
    Franz-Xaver kam herein, verschiedene Gemüse auf einem großen Tablett
tragend. »Was is los mit dir? Immer noch niedergeschlagen?«
    »Ich mach mir Sorgen um Gisela.«
    »Aber die is doch wieder frei. Du weißt doch, dass die Herrschaften
von der Polizei die Anklage net länger aufrechthalten konnten, weil von einem
Einzeltäter ausgegangen wird und Gisela für den zweiten Mord ein perfektes
Alibi hat.«
    »Ich mach mir Sorgen, weil sie auf freiem
Fuß ist. Es sieht fast so aus, als wollte der Mörder das gesamte Weingut Schultze-Nögel
ausrotten.«
    »Hast gelesen, was der Express geschrieben hat? Die vermuten, es wär
jemand von der Konkurrenz gewesen. Meinen damit wahrscheinlich den Herr Herold,
würd sich die Konkurrenz auf Jahre vom Hals schaffen. Schon praktisch.«
    Julius nahm sich einen Fenchel – ein knackfrischer
Stellvertreter für den Verdächtigen Nummer eins. »Gut. Fangen wir mit August
an.«
    Er stellte den Fenchel auf den Tisch. »Motiv ist klar. Siggis
Weingut wird lange brauchen, bis es wieder da ist, wo es einmal stand. Mit
Winzer und Kellermeister ist das gesamte Wissen um die Eigenheiten der Lagen
und die speziellen Tricks verloren gegangen, die den Weinen Klasse und
Eigenheit gegeben haben. Selbst wenn Gisela einen guten Betriebsleiter findet,
würde der Jahre benötigen, um diesen Status quo wieder zu erreichen. Und gute
Betriebsleiter, gerade für Rotwein, sind rar. Außerdem, wer würde zurzeit zum
Weingut gehen, wo dort so viel Blut geflossen ist?«
    Franz-Xaver zuckte mit den Schultern.
    »Das Motiv für August wäre also da. Hinzu kommt, dass die sechs
Flaschen Kammerpreis-Wein gestohlen wurden – das deutet ebenfalls auf ihn.
Auch wenn ich mir kaum vorstellen kann, dass er zu solch drastischen Mitteln
greifen würde. Aber gut.«
    Er legte ein Radieschen unter den Fenchel: ein Motiv für August.
»Bei ihm gilt es, das Alibi zu checken. Darum wird sich von Reuschenberg
kümmern. Der fühl ich dann auf den Zahn.«
    »Du hast vergessen, dass noch etwas für den Herrn Herold spricht.«
    »Sag an.«
    »Der Mörder muss sich im Weinbau auskennen. Oder könntest du so eine
Pressen bedienen? Ich net.«
    Das stimmte. Das verkleinerte den Täterkreis. Aber gegen den Wirsing
sprach es nicht.
    »So. Das ist die Weinbruderschaft. Da kennen sich genug mit
Weinbautechnik aus. Und ein Motiv gibt es auch: Sie

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