In Wahrheit wird viel mehr gelogen - Erben bringen Glück
meinem Rücken über mich reden!«
»Du bist ja paranoid«, sagte Leo.
So, jetzt reichte es aber.
»Und du bist ziemlich widerlich zu mir!« Ich öffnete die Wagentür, stieg aus und wartete, dass Leo mich aufhielt. Das tat er aber nicht.
Unschlüssig blieb ich neben dem Wagen stehen und blinzelte zu ihm hinein. »Na dann … geh ich jetzt mal«, sagte ich schließlich.
»Du kannst dich ja melden, wenn du wieder da bist«, sagte Leo.
»Wie meinst du das?«
Leo seufzte. »Ich habe das Gefühl, ein bisschen Abstand wird uns beiden ganz guttun.«
Jetzt war ich zutiefst verunsichert. Ich hatte keinerlei praktische Erfahrung damit, aber hieß »Ein bisschen Abstand würde uns beiden guttun« nicht dasselbe wie »Es ist aus und vorbei«?
»Wie lange?« Dummerweise musste ich wieder mit den Tränen kämpfen. Leo konnte es hören.
»Vielleicht rufe ich dich mal an«, bot er an.
Ich versuchte im Halbdunkeln seinen Gesichtsausdruck zu deuten. »Ja. Das wäre schön.« In meinem Magen schien plötzlich ein schwerer Klumpen zu liegen, und meine Kehle schmerzte bei dem Versuch, die Tränen zurückzuhalten.
»Leo? Und wenn ich wirklich mit sechs Zehen geboren worden wäre?« Meine Stimme klang sehr jämmerlich, und ich bereute meine Frage sofort.
»Das ist doch jetzt albern. Lass uns einfach ein anderes Mal darüber reden, ja? Gib mir einfach ein bisschen Zeit zum Nachdenken.« Leo ließ den Motor an. »Das kann dir auch nicht schaden.«
Mir blieb nichts anderes übrig, als die Wagentür zuzuschlagen und zuzusehen, wie er davonfuhr.
Okay. Ich atmete tief ein. Okay. Und wieder aus. Dabei versuchte ich, an etwas Positives zu denken. Fünf Monate. Das ist gar nicht mal so wenig. Das ist ein absoluter Rekord.
Auf jeden Fall war es lang genug, um sich an jemanden zu gewöhnen.
Ach, Mist! Ich hatte es versiebt.
»Manch einer findet sein Herz nicht eher,
als bis er seinen Kopf verliert.«
Friedrich Nietzsche
Dem armen Nietzsche wird ja nachgesagt, ein schlimmer
Chauvinist gewesen zu sein, weil er ständig markig-kernige
Sprüche à la »Wenn du zum Weibe gehst, vergiss die Peitsche
nicht« von sich gegeben habe. In Wirklichkeit aber hat er
lediglich eine seiner Personen – ein altes Weiblein – in
»Also sprach Zarathustra« sagen lassen: »Du gehst zu Frauen?
Vergiss die Peitsche nicht.« Warum auch immer.
Ähem. Wollte ich nur mal gesagt haben.
Ich ließ meinen Tränen freien Lauf, während ich die Rücklichter von Leos Auto um die nächste Ecke biegen sah. Da klingelte mein Handy erneut. Es war Mimi, und zu meinem Entsetzen weinte sie ebenfalls. Ich konnte kaum verstehen, was sie sagte.
»… so gemein … schon seit Jahren … Das ist mein Name … ganz allein meiner …«
»Was ist denn passiert?«, schluchzte ich zurück.
»Die Kreissäge w-w-will das Baby Nina-Louise nennen!«
»Aber das darf sie nicht.« Ich hörte auf zu weinen. »Das ist dein doofer Baby-Name, das weiß sie doch genau.«
»Ja«, schniefte Mimi. »Aber sie sagt, wer zuerst kommt, m-m-mahlt zuerst, ich hätte mich halt beeilen sollen, Namen könne man nun mal nicht reservieren. Mama sagt, das wäre doch nicht sch…sch…schlimm, es gebe doch noch so viele andere sch-schöne Namen. Und Papa sagt, ich solle deswegen bloß keinen Aufstand veranstalten.«
»Und was sagt Manuel?«
»Er sagt, er kann nichts ma...machen, die Kreissäge hat ihm während der Wehen das Versprechen abgerungen, dass sie den Namen aussuchen dürfe, und er habe gesagt, alles außer Erna. Und ob ich ihnen denn bittebitte Nina-Louise schenken würde. Aber das k-k-kann ich nicht. Das ist immer schon mein Name gewesen. Und ich kann nicht mal hinfahren und sie umbringen, weil ich arbeiten muss. Und Ronnie sagt, das wäre doch alles gar nicht so schlimm. Hauptsache, der Name bleibt in der Familie.«
»Ich mache das für dich«, sagte ich. »Ich fahre nach Hannover und bringe die Kreissäge um. Und ich sorge dafür, dass ihr Baby einen anderen Namen bekommt.« Und um den armen Hund würde ich mich auch kümmern.
»Danke«, schniefte Mimi. »Du bist die Einzige, die mich versteht.«
»Nein«, sagte ich. »Aber ich bin auf deiner Seite. Man muss sich nicht alles gefallen lassen.«
Eine Weile noch schniefte Mimi vor sich hin, dann fragte sie: »Wie war’s denn auf der Party?«
»Ich glaube, Leo hat mit mir Schluss gemacht«, sagte ich.
»Du glaubst?« Jetzt hörte Mimi auf zu weinen, und ich fing wieder damit an.
»Er hat gesagt, ein bisschen Abstand würde uns
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