In Wahrheit wird viel mehr gelogen - Erben bringen Glück
Cembalo vermacht habe, und dass Oliver Henselmeier und Corinne meine Brüste zu flach fänden.
»Es ist nicht fair, dass der Hund vernachlässigt wird, nur weil dieses Baby da ist, und wenn sie es wirklich Nina-Louise nennt, dann spreche ich nie wieder ein Wort mit ihr, natürlich ist das ein Scheißname, aber er gehört meiner Schwester, das weiß die Kreissäge ganz genau, das Biest«, fuhr ich übergangslos fort. »Mama kann einen besseren Kirschkuchen backen als Leos Mutter, ich hätte es einfach sagen sollen, am Ende wird es doch gegen einen verwendet, wenn man aus lauter Freundlichkeit lügt, aber lügen ist nicht dasselbe wie verschweigen, da kann er sagen, was er will, und manchmal kann man den Leuten gar nicht alles über einen erzählen, weil so viel Zeit hat man gar nicht, und auf die passende Gelegenheit kann man manchmal wirklich lange warten, oder wie würden Sie so ganz nebenbei einflechten, dass Sie Mandoline spielen können und Koreanisch sprechen und überhaupt ein merkwürdiger Freak sind?«
In dem Stil ging es endlos weiter.
Karl ließ mich reden. Er legte den Arm um mich und ließ meine Wortflut über sich ergehen, ohne mich zu unterbrechen oder auf meine (ohnehin rhetorischen) Fragen zu antworten.
Nach meiner Zeugenaussage – leider hatte ich das Nummernschild des Taxis nicht erkennen können, und leider konnte ich auch nichts wirklich Entlastendes zu Gencalps Pinarbasis Fahrweise sagen – und nachdem ich Mimi angerufen und unsere Mädchennacht auf dem Sofa abgesagt hatte, fuhr Karl mich ins Krankenhaus. Auf der Fahrt dorthin undwährend wir in der Notaufnahme warteten und sogar noch, als man mich zum Röntgen schob, sprudelten die Worte weiter aus mir heraus, nun aber zunehmend weniger unsinnig und weniger zusammenhanglos. Das lag daran, dass ich merkte, dass Karl mir wirklich zuhörte. Jetzt stellte er auch ab und an Fragen, und ich fand, dass es sehr kluge Fragen waren. Er sah mich die ganze Zeit über an (außer beim Autofahren, da sah er glücklicherweise auf die Straße), und tatsächlich hatte ich das Gefühl, dass mir noch nie im Leben jemand so aufmerksam zugehört hatte wie er. Das Beste war, dass er mir nicht nur zuhörte, sondern auch genau verstand, was ich meinte.
Der Arzt konnte kein Schleudertrauma feststellen, also verließ ich das Krankenhaus ohne eine Halskrause und immer noch hellwach. Und seltsam glücklich. Von mir aus hätte diese Nacht noch ewig dauern können. Aber als wir auf dem Parkplatz vor dem Mietwagen ankamen, wurde mir klar, dass es nun zu Ende war. Karl würde mich nach Hause fahren und am nächsten Tag nach Madrid fliegen. Wir würden uns vermutlich niemals wiedersehen.
»Es ist seltsam, wenn du nichts sagst«, sagte Karl.
Wir standen uns unschlüssig gegenüber, und in dem spärlichen Licht, das die Laternen und die Krankenhausfenster spendeten, blitzte das Crocodile-Dundee-Lächeln auf.
»Normalerweise rede ich nicht so viel«, sagte ich. »Ich bin sogar eher ein bisschen wortkarg.«
»Ich weiß. Du stehst unter Schock«, sagte Karl. »Wegen des Unfalls. Und dann hat auch noch dein Freund mit dir Schluss gemacht. Dein Freund, der zufälligerweise mein Sohn ist. Ich werde dich jetzt nach Hause bringen.«
»Bitte nicht. Können wir nicht einfach noch ein bisschen hier stehen bleiben?«
»Es ist kalt.«
»Sie könnten mich wärmen«, sagte ich und machte einen Schritt auf ihn zu.
Mit einem Seufzer legte Karl seine Arme um mich und zog mich eng an sich. Eine Weile hörte ich seinem klopfenden Herzen zu, dann drehte ich mein Gesicht nach oben und sagte: »Sie könnten mich auch küssen.«
»Auf keinen Fall«, sagte Karl und presste mich noch fester an sich.
Ich rührte mich nicht, aus Angst, er könne mich wieder loslassen.
»Kennst du den Film Die Reifeprüfung mit Dustin Hofmann?«, fragte er nach einer Weile. »Wo Dustin Hofmann frisch vom College kommt und eine Affäre mit der Mutter des Mädchens hat, in das er verliebt ist?«
»Das ist ein schlechter Vergleich«, sagte ich. »Wo werden Sie heute Nacht schlafen, Mrs Robinson?«
»Ich habe ein Zimmer im Hotel.«
»Kann ich mitkommen?«
»Auf keinen Fall«, sagte Karl.
»Bitte«, sagte ich.
Und Karl sagte: »Nur über meine Leiche.« (Was im Nachhinein betrachtet ja nicht einer gewissen Komik entbehrt. Aber immerhin hat es fünf Jahre gedauert, bis Karl zur Leiche wurde.)
Auf der Fahrt zum Hotel konjugierte Karl das Verb »bereuen« in allen Varianten durch. »Das werden wir bereuen. Du
Weitere Kostenlose Bücher