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In Wahrheit wird viel mehr gelogen - Erben bringen Glück

Titel: In Wahrheit wird viel mehr gelogen - Erben bringen Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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zu erinnern versuchte, die ich für die Führerscheinprüfung gelernt hatte. Gleichzeitig prüfte ich, ob mit mir selber alles in Ordnung war. Schwer zu sagen: Mir tat nichts weh, aber das konnte auch das Adrenalin sein. Man kannte ja die Geschichten von Leuten, die mit tödlichen Verletzungen noch kilometerweit liefen. So wie diese Frau, die mit einem Beil im Kopf per Anhalter zum nächsten Polizeirevier gefahren war und Namen und Adresse ihres Mörders zu Protokoll gegeben hatte, bevor sie tot zusammenbrach.
    Gencalp Pinarbasi fluchte laut. Ja, er lebte noch.
    Etwas Warmes, Flüssiges lief mir über das Gesicht. Panisch fasste ich mir an die Stirn. Im gleichen Augenblick öffnete jemand die Tür und fragte, ob ich verletzt sei.
    Eine ziemlich dämliche Frage an eine blutüberströmte Frau.»Vielleicht ist es nicht so schlimm«, flüsterte ich, hatte aber plötzlich das Gefühl, in Blut zu baden.
    »Das kriegen wir schon hin«, sagte jemand und hob mich vorsichtig hinaus. Auch Gencalp Pinarbasi wurde hinter seinem Airbag herausgezogen.
    Ich war nicht erstaunt, dass ich stehen konnte – das hatte die Frau mit dem Beil im Kopf ja auch geschafft –, ich fand nur seltsam, dass der Mann, der mich aus dem Auto geholt hatte, mich einfach so auf meine Beine stellte. Hey, sollte man mich nicht in die stabile Seitenlage bringen, bis der Krankenwagen hier war? Bevor ich verblutete. Im Licht der vielen Autoscheinwerfer betrachtete ich meine nassen Handflächen. Nichts zu sehen.
    Ich tastete meine Stirn ab. Fühlte sich nach einer Beule an. Aber Blut war nirgends zu sehen. Oh! Ich war gar nicht die Frau mit dem Beil. Offenbar war es Schweiß gewesen, der mir von der Stirn getropft war. Ich war wundersamer Weise unverletzt. Vor Erleichterung gaben meine Knie nach. Der Mann, der mich aus dem Auto gezogen hatte, fing mich auf.
    Und dann erst sah ich, wer er war.
    Es war Karl. Er war mit seinem Mietwagen gleich hinter dem silbernen Mondeo gefahren und wäre beinahe selber in den Unfall verwickelt worden.
    »Tut Ihnen irgendetwas weh?«
    Ich konnte ihn nur anstarren. Wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass das hier geschah? Doch recht nahe bei Null, sollte man denken. Nur eine sehr seltsame Verkettung von Ereignissen und Fakten hatte zu diesem Zusammentreffen führen können. Wenn die Kreissäge ihr Baby nicht Nina-Louise hätte nennen wollen, hätte Mimi nicht angerufen und ich hätte kein Taxi genommen. Wäre Gencalp Pinarbasi ausgeschlafen und nicht bis obenhin mit Koffein zugedröhntgewesen, wäre er möglicherweise nicht so schnell gefahren und hätte besser reagiert, als der andere Taxifahrer aus der Seitenstraße geschossen kam. Und wie viele Zufälle hatten dazu geführt, dass Karl genau um diese Uhrzeit in genau dieser Straße aufgetaucht war und ausgerechnet mich aus dem Taxi befreite?
    »Warum sind Sie denn nicht auf der Feier?«, fragte ich.
    »Ich habe meine Tante Jutta nach Hause gebracht«, sagte Karl. »Sie hat Angst vor Taxifahrern. Zu Recht, wie man denken könnte, wenn man sich Ihren ansieht.«
    Gencalp Pinarbasi beschimpfte gerade die Fahrerin des dunkelblauen Golfs, mit dem wir zusammengestoßen waren. Sie schien wie durch ein Wunder ebenfalls unverletzt zu sein.
    »Es sieht so aus, als wäre niemand verletzt«, sagte Karl, der meinen herumirrenden Blicken gefolgt war. »Obwohl man das kaum glauben kann! Sicherheitshalber möchte ich Sie auch ins Krankenhaus fahren, vielleicht haben Sie ein Schleudertrauma, damit ist nicht zu spaßen.«
    Ich sah ihn an und konnte es einfach nicht fassen, dass er vor mir stand. Mit seinem zerknitterten Hemd, diesem umwerfenden Lächeln und den blauen Augen, die auch im schummrigsten Licht noch zu leuchten schienen.
    Was dann passierte, kann ich nicht wirklich erklären. Möglicherweise lag es an dem vielen Adrenalin, das mein Körper bei dem Unfall ausgeschüttet hatte, möglicherweise auch daran, dass mir in den nächsten Minuten klar wurde, wie viel Glück ich gehabt hatte, überhaupt noch am Leben zu sein. Auf jeden Fall tat ich lauter Dinge, die ich unter normalen Umständen niemals getan hätte. Vor allem reden. Schon während wir auf die Polizei warteten, redete ich wie ein Wasserfall auf Karl ein. Ohne besonders lange bei einem Thema zu verweilen, erzählte ich ihm nacheinander, dass Leo mit mir Schlussgemacht habe, weil ich boshaft und gemein sei, dass ich mit Schumanns »Fröhlichem Landmann« bei »Jugend musiziert« gewonnen hätte, weil Tante Elfriede uns ein

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