In weißer Stille
verdreht, so dass nur das Weiße sichtbar war. Die Uniformjacke und die Bluse waren blutgetränkt. Dühnfort konnte nicht ausmachen, wo sie getroffen worden war. »Ich rufe jetzt einen Notarzt.« Er nahm das Handy aus der Tasche und wählte mit fliegenden Fingern die Nummer, forderte einen Hubschrauber an und gab eine genaue Beschreibung des Hauses. »Der Garten ist groß genug. Ja. Dort kann ein Hubschrauber landen. Sicher.« Er musste einfach groß genug sein. Dühnfort legte auf.
Albert fuchtelte mit der Pistole herum. »Fertig? Dann gehen wir.«
»Sie können sie doch nicht so liegen lassen.«
Albert zuckte die Schultern. »Das war die Abmachung.«
»Da wusste ich aber nicht, wie schlecht es ihr geht. Können Sie nichts machen, um die Blutung zu stoppen?«
»Wir gehen jetzt.«
Dühnfort explodierte. »Stabile Seitenlage. Wenigstens das hätten Sie für sie tun können.«
Albert zuckte kaum merklich zusammen. »Sie haben das auch gelernt. Das ist jetzt Ihr Job, und dann fahren wir.« Nervös blickte er in den Garten.
Dühnfort wandte sich von Albert ab, kniete sich in die Lache aus Blut. Eine feuchte Wärme durchdrang den Stoff seiner Hose. Zuerst tastete er die Mundhöhle nach Erbrochenem und Blut ab. Sie war leer. Gott sei Dank. »Alles wird gut«, sagte er, obwohl er wusste, dass sie ihn nicht hören konnte. »Gleich ist ein Arzt da.«
Dann stand er auf und fuhr herum. »Sie müssen ihr helfen. Sie kriegt kaum Luft.«
Albert rührte sich nicht.
»Schnell. Sie erstickt sonst. Bitte.«
Albert ließ die Waffe sinken, kam aber nicht in Bewegung. »Jetzt tun Sie doch endlich was!«
Albert ging zögernd in die Hocke und legte die Pistole neben sich in Griffweite. »Atemwege freiräumen. Haben Sie das nicht gelernt?«, herrschte er Dühnfort an.
Ein sich nähernder Hubschrauber war zu hören. Dühnfort trat einen Schritt zurück und zog seine Dienstwaffe aus dem Hosenbund, während Albert sich über Christine Meingast beugte.
Mit einem Tritt kickte er ihre Waffe unter den Stuhl, Albert fuhr herum. Rotorenlärm drang durch das Fenster, ließ die Scheiben vibrieren.
Dühnfort richtete seine Waffe auf Albert. »Stehen Sie auf. Ich will nicht auf Sie schießen. Aber ich würde es tun.«
Albert sah sich nach Meingasts Pistole um.
»Vergessen Sie’s.« Dühnfort brüllte gegen den lauter werdenden Lärm an, fragte sich, welch glücklichem Umstand das schnelle Erscheinen der Retter zu verdanken war, und herrschte Albert an: »An die Wand mit Ihnen, Beine auseinander.« Er dirigierte ihn an die Küchenwand, drückte ihn dagegen, nahm die Handschellen vom Hosenbund und fesselte ihm die Hände auf den Rücken. Der Hubschrauber schwebte über dem Rasen, wirbelte das trockene Laub auf, drückte das Gras zu Boden und setzte zur Landung an. Die Fensterscheiben klirrten, als würden sie jeden Moment bersten.
* * *
Kurz nach 19 Uhr verließ Dühnfort mit Gina den Vernehmungsraum. Er fühlte sich wie gerädert. Die Schultern waren verspannt, die Stimme belegt. Wie immer nach einer erfolgreichen Ermittlung arbeiteten zwiespältige Gefühle in ihm. Einerseits war er stolz auf die geleistete Arbeit, andererseits hatte er sich in all den Jahren seiner Tätigkeit das Erschrecken über Kaltblütigkeit, Grausamkeit und Willkür nicht abgewöhnen können. Noch immer entsetzten ihn Arroganz und Selbstgefälligkeit, mit der ein Mensch über das Leben eines anderen richtete. In diesem Fall waren es zwei Leben gewesen, das des Vaters und des Bruders, und das Motiv war Dühnfort zwar eingängig, aber nicht nachvollziehbar. In ihm fand sich kein Echo, kein Schatten, keine Stimme, die sagte: Es ist verständlich. Vielleicht hättest du unter den gleichen Umständen ebenso gehandelt.
»Den Abschlussbericht vertagen wir auf morgen, oder?« Gina blieb neben ihm stehen und fuhr sich durch die Haare.
»Natürlich.« Sie mussten ohnehin noch die Ergebnisse der Durchsuchung der Wohnung und der Praxis abwarten, die zurzeit unter Alois’ Leitung stattfanden. Wenigstens hatte Albert nach einer knappen Stunde der Vernehmung das anfängliche Leugnen aufgegeben und im Beisein seines wenig begeisterten Anwalts ein umfassendes Geständnis abgelegt. Es war bereits protokolliert und unterzeichnet. Dühnfort reckte sich. »Ich brauche jetzt erst mal einen Kaffee.«
»Ich bringe dir einen mit.«
»So habe ich das nicht gemeint.«
Sie lächelte. »Ich weiß.«
Er blickte ihr einen Moment nach, dann ging er Richtung Büro.
Der Mord an
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