In Zeiten der Flut
durchtriebenen Ausdruck an. »Was hat er Ihnen angetan? Hat Ihnen Ihr Geld geklaut, nehme ich an. Meins wollte er mir auch wegnehmen, aber ich war zu schlau für ihn. Das ist das einzige, was im Leben etwas taugt, das einzige, was einem Macht gibt.«
»Soviel ich weiß, hat er nichts getan. Ich möchte ihm bloß ein paar Fragen stellen.«
»Ein paar Fragen«, meinte sie ungläubig.
Er machte keine Anstalten, das einsetzende Schweigen zu brechen, sondern ließ es sich entfalten und erblühen, gespannt darauf, wann sie endlich wieder sprechen würde. Schließlich runzelte Mutter Gregorian ärgerlich die Stirn und sagte: »Was für Fragen?«
»Es besteht die Möglichkeit, nicht mehr, daß verbotene Technik abhanden gekommen ist. Meine Vorgesetzten möchten Ihren Sohn fragen, ob er etwas darüber weiß.«
»Was werden Sie mit ihm machen, wenn Sie ihn gefangen haben?«
»Ich beabsichtige nicht, ihn zu fangen oder etwas in der Art«, erwiderte der Bürokrat gereizt. »Wenn er das Gerät hat, werde ich ihn auffordern, es zurückzugeben. Mehr kann ich nicht tun. Ich habe keine Befugnis, weitergehende Maßnahmen zu ergreifen.« Sie lächelte gehässig, als hätte sie ihn gerade bei einer Lüge ertappt. »Aber warum erzählen Sie mir nicht ein bißchen über ihn? Wie war er als Kind?«
Die alte Frau hob mühsam die Schultern. »Er war ein ziemlich normaler Junge. Ein rechter Draufgänger. Ich erinnere mich noch, daß er Liebesgeschichten mochte. Gespenster, Ritter und Raumpiraten. Der Priester erzählte dem kleinen Aldebaran immer Märtyrergeschichten. Ich weiß noch, wie er dasaß, mit großen Augen zuhörte und zitterte, wenn sie starben. Jetzt ist er im Fernsehen, erst gestern habe ich einen Werbespot von ihm gesehen.« Sie hantierte mit der Fernsteuerung, schaltete zwischen den Sendern hin und her, ohne den Spot zu finden, dann legte sie die Fernsteuerung wieder weg. Es war ein teures Gerät, im Weltraum verschweißt und mit einer Garantie seiner Behörde versehen, daß es nicht konvertierbar sei. »Als er geboren wurde, war ich noch Jungfrau.«
»Wie bitte?« sagte er verblüfft.
»Ah, dachte ich's mir doch, daß Sie das interessieren würde. Das riecht nach fremder Technik, nicht wahr? Ja, aber das Verbrechen liegt lange zurück. Damals war ich noch jung und sehr, sehr schön. Sein Vater war ein Außenweltler wie Sie, sehr reich, und ich war bloß eine hinterwäldlerische Hexe - eine Apothekerin, wie man zu einer Kräuterfrau auch sagen könnte.«
Ihre bleichen, gesprenkelten Augenlider schlossen sich halb; sie legte den Kopf noch weiter zurück und blickte in die Vergangenheit. »Er schwebte in einer rotlackierten Flugmaschine vom Himmel herab, in einer finsteren Nacht, als Caliban und Ariel gerade in der Neumondphase waren - das ist ein wichtiger Zeitpunkt, um Wurzeln zu sammeln, zumal wenn es um Alraune, Leuchtmädel und den Clownskuß geht. Er war ein bedeutender Mann mit einer starken Ausstrahlung, aber nach all den Jahren kann ich mich an sein Gesicht nicht mehr erinnern - nur noch an seine Stiefel, er trug wundervolle Stiefel aus kostbarem rotem Leder von einem weitentfernten Stern, wie er mir sagte, nichts, was man auf Miranda mit noch so viel Geld hätte kaufen können.« Sie seufzte. »Er wollte ein mutterloses Kind, das nur seine eigenen Gene in sich trug, nichts sonst. Ich weiß nicht, warum. Das bekam ich in all den Monaten, die wir zusammen waren, nie aus ihm heraus.
Wir vereinbarten einen Preis. Er gab mir so viel Geld, daß ich mir dies alles« - sie deutete mit dem Kinn auf ihr vollgestopftes Reich - »und später dann noch einige Ehemänner kaufen konnte, die eher nach meinem Geschmack waren als er. Dann flog er mich mit seinem Raumschiff mit den Fledermausflügeln nach Ararat, tief in den Wald. Es war die erste Stadt, die je auf Miranda errichtet wurde. Aus der Luft sah sie aus wie ein stufenförmiger Berg, wie eine Art Zikkurat, und sie war vollkommen überwachsen. Ich verbrachte dort meine ganze Schwangerschaft. Hören Sie nicht auf die, die behaupten, dort würde es spuken. Ich hatte die ganze Stadt für mich allein, all diese Steinbauten, die größer waren als alles, was man auf dieser Seite des Piedmont findet, da waren nur ich und die Tiere. Der Vater leistete mir nach Möglichkeit Gesellschaft, aber meistens war ich mit meinen Gedanken allein und streifte zwischen den überwachsenen Mauern umher. Sie waren grün vom Moos, Bäume wuchsen aus den Fenstern, auf den Dächern sprossen
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