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In Zeiten der Flut

In Zeiten der Flut

Titel: In Zeiten der Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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unbedingt. Warum sagen Sie mir nicht, wer Sie sind und was Sie überhaupt wollen, vielleicht können wir dann in dieser Angelegenheit Zusammenarbeiten.«
    »Nein, nein.« Der Tod schüttelte den Kopf. »Das ist eine riskante Sache und wird wahrscheinlich sowieso nicht funktionieren. Aber wenn Sie mit ihm Schwierigkeiten bekommen sollten, dann können Sie dieses Argument in die Waagschale werfen. Ich mein's ehrlich, und er wird wissen, daß er sich auf mein Wort verlassen kann.«
    »Warten Sie«, sagte der Bürokrat. »Wer sind Sie?«
    »Tut mir leid.«
    »Sind Sie sein Vater?«
    Der Tod wandte sich ihm zu. Lange Zeit schwieg er; dann: »Tut mir leid. Ich muß jetzt gehen.« Das Surrogat schwankte, als würde es jeden Moment umfallen, dann blockierten die Trägheitskreisel, und es blieb steif wie eine Statue stehen.
    Der Bürokrat berührte den Metallschädel. Das Surrogat reagierte nicht, zeigte nicht das geringste Anzeichen von Aktivität. Langsam entfernte er sich und sah sich hin und wieder um, doch das Surrogat blieb tot.
    Wieder mitten im Gewühl angelangt, stürzte er sein Würzbier hinunter und erstand einen mit Puderzucker bestäubten Krapfen von einem betrunkenen Teenager, der sein Geld nicht haben wollte: »Ist schon bezahlt!« Über dem Stand war ein Transparent, worauf Stand: PRODUKTIONSGENOSSENSCHAFT FÜR ERZEUGNISSE DES TIDELANDS UND TIERISCHE NEBENPRODUKTE. Er hob das Gebäck, als wollte er einen Toast ausbringen, dann schlenderte er weiter, distanziert von allem und ein wenig wehmütig. Die Leute hier waren alle glücklich.
    Die Menge wogte um ihn herum, ebenso veränderlich-unwandelbar wie die Meeresbrandung an einem Strand, stets aufs neue faszinierend, auch wenn das Auge überfordert ist. Die Gesichter waren von allzu schrillem Gelächter verzerrt, auf der geröteten Haut perlte Schweiß. Was mache ich hier eigentlich? fragte sich der Bürokrat. Heute werde ich keinen Schritt weiterkommen. Die organisierte Fröhlichkeit deprimierte ihn.
    Es wurde allmählich spät. Die Kinder waren verschwunden, und die verbliebenen Erwachsenen wurden immer lauter und betrunkener. Als er sich Puderzucker von den Fingern leckte, wäre der Bürokrat beinahe in eine Schlägerei hineingestolpert. Zwei Betrunkene schubsten ein Surrogat umher, schlugen ihm die Rippen ein und rissen ihm nacheinander Arme und Beine aus. Das arme Ding wälzte sich auf dem Boden und protestierte lautstark, während sie ihm die letzte Rippe herausrissen, dann erstarrte es, als der Operator den Abend endgültig abschrieb. Der Bürokrat schlug einen Bogen um die johlenden Zuschauer und ging weiter.
    Ihm näherte sich eine Frau in einem grün-blauen Kostüm, das vielleicht den Geist des Wassers darstellen sollte oder Himmel und Meer, und aus deren Haarschmuck smaragdgrüne Federn ragten. Ihr Kostüm war lang geschnitten, und sie mußte den mit Pailletten besetzten Rock mit einer Hand raffen, damit er nicht über den Boden streifte. Unter dem Eindruck der fast greifbaren Aura ihrer Schönheit teilte sich die Menge vor ihr wie Wasser. Sie blickte ihm entgegen, ihre Augen funkelten so grün wie die Seele des Waldes. In der Nähe verglich eine Sängerin das Herz mit einem kleinen Vogel, der nach einem Nest suche. Sie versetzte die Menge in Schwingungen, wie hellbemalte Metallspulen. Die grüne Frau wurde ihm entgegengespült, eine dem Meer entstiegene Nixe.
    Der Bürokrat wich reflexhaft einen Schritt zurück, um diese Vision an sich vorbeizulassen. Sie aber ließ ihn mit einer Berührung eines ihrer grünen Lederhandschuhe anhalten. »Du«, sagte sie, und ihre grünen Augen und blendend weißen Zähne schienen ihn jeden Moment zerfleischen zu wollen. »Ich will dich.«
    Sie legte einen Arm um seine Taille und führte ihn fort.
    Am Rande der Festlichkeiten hielt die Frau inne und pflückte eine Wachsblume von einer durchhängenden Girlande. Sie hielt sie in der hohlen Hand, beugte sich am Flußufer vor und warf sie ins Wasser. Andere Blüten tanzten in den Fluten und drehten sich langsam, ein majestätischer Tanz.
    Als sie sich ins Helle vorneigte, sah er, daß ihre Arme über den Ellbogen mit Sternen und Dreiecken, Schlangen und Augen bedeckt waren, gnostische Tätowierungen von unbekannter Bedeutung.

    Sie sagte, sie hieße Undine. Sie schlenderten die Käsefabrikstraße hinter den letzten Gebäudeansammlungen entlang, von einem Wald von Rosen umgeben. Überall waren Dornenranken, welche die Baumstämme hochkletterten und sie mit ihrer Fülle

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