In Zeiten der Flut
Der Bürokrat hüllte sich fester in die Decke und spähte der alten Frau schlaftrunken über die Schulter.
Ein insektenhaftes Metallwesen näherte sich auf drei zierlichen Beinstelzen.
Es war seine Aktentasche.
Aufrecht stehend wies die Aktentasche eine frappierende Ähnlichkeit mit einer riesigen Spinne auf. Abseits der maschinengesättigten Umgebung des Weltraums, wirkte sie monströs, wie ein Besucher aus einem dämonischen Universum. Die Leute wichen ihr aus. Ungehindert stolzierte sie ins Hotel hinein. Sie stieg die Treppe hoch, zog die Beine ein und legte sich zu Füßen des Bürokraten nieder.
»Also, Chef«, sagte sie, »ein Spaziergang war der Rückweg jedenfalls nicht.«
Der Bürokrat beugte sich vor und hob die Aktentasche hoch. Als er neben sich eine flüchtige Bewegung wahrnahm, wandte er den Kopf und sah sich drei Männern gegenüber, die gerade ihre Aufzeichnungsgeräte schulterten.
»Sir!« meinte der eine. »Auf ein Wort!«
8 - Unterhaltungen im Palast der Rätsel
Der Formgeber plazierte den Bürokraten am Fuß der Spanischen Treppe und stellte die Aktentasche neben ihm ab.
Die Aktentasche verkörperte einen kleinen, äffischen Mann von halb menschlicher Gestalt. Er hatte buschige schwarze Augenbrauen und einen leicht gequälten Gesichtsausdruck.
Seine graue Samtjacke war zerknittert, seine Schultern krumm und gebeugt.
»Bereit, in die Schlacht zu ziehen?« fragte der Bürokrat säuerlich.
Die Aktentasche sah mit einem raschen, schiefen Lächeln und wachen Augen zu ihm auf. »Fangen wir mit Ihrem Schreibtisch an, Chef?«
»Nein, ich glaube, wir nehmen uns zuerst die Garderobe vor. In Anbetracht all der Arbeit, die vor uns liegt.«
Die Aktentasche nickte und stieg vor ihm die Treppe hoch. Die marmornen Stufen teilten sich und teilten sich erneut, wanden sich so anmutig wie Schlangen durch die untergeordneten Entscheidungsebenen. Rasch gelangten sie zu den höheren Hierarchien. In den oberen Sphären verflochten sich die Treppen und bogen seitwärts ab, wobei sie sich vervielfältigten, fächerartig ausbreiteten in unmöglichen Winkeln und sich wie Möbiusbänder und Escherräume miteinander verflochten, ehe sie in den höheren Dimensionen verschwanden. Man mußte sich auf die unmittelbar vor einem befindlichen Stufen konzentrieren, um nicht die Orientierung zu verlieren. Am Rand des Gesichtsfelds gingen weitere Treppen von den alten ab, tauchten neue Portale auf.
Dem Bürokraten fiel der alte Witz ein, wonach es im Palast der Rätsel eine Million Türen gäbe, von denen einen keine einzige dorthin brächte, wohin man wollte.
»Hier entlang.« Ihr Weg führte korkenzieherartig gewunden unter einer spiralförmigen Ansammlung von Treppenaufgängen und zwischen einer Verstrebung aus steinernen Löwen hindurch, deren Schnauzen mit grüner Farbe bespritzt waren. Sie öffneten eine Tür und traten hindurch.
Die Garderobe war ein muffiger eichengetäfelter Raum, vollgestopft mit Masken von Dämonen, Helden, Wesen aus anderen Sternsystemen und solchen, deren Herkunft im dunkeln lag. Er wurde erhellt vom allgegenwärtigen, indirekten sanften Licht, das den ganzen Palast der Rätsel durchdrang, und es herrschte darin die zielstrebige Geschäftigkeit von Menschen, die Kostüme anprobierten oder sich schminken ließen; ein stiller Ort der gedämpften Vorbereitung, der einem prästellaren Theater oder einer Medienumgebung zu entstammen schien.
Eine heuschreckenähnliche Konstruktion näherte sich, nichts als glänzendes grünes Chitin und schlanke Gelenke. Sie legte die Vorderarme aneinander und verneigte sich tief. »Womit kann ich Ihnen dienen, Herr? Mit Talenten, Zensoren, sozialer Ausrüstung? Vielleicht mit einem Zusatzgedächtnis?«
»Ich brauche fünf Stellvertreter«, sagte der Bürokrat. Seine Aktentasche, die mit übereinandergeschlagenen Beinen auf einer Kostümtruhe saß, holte einen Schreibblock aus der Innentasche, kritzelte ein paar Zahlencodes darauf, riß das oberste Blatt ab und reichte es der Konstruktion.
»Sehr wohl.« Die Gottesanbeterin holte vier Puppen aus einem Schrank und begann maßzunehmen. »Soll ich ihre Autonomie einschränken?«
»Wozu?«
»Das wäre durchaus geraten, Sir. Es ist bemerkenswert, wie viele Leute die ihren Stellvertretern zugängliche Informationsmenge beschränken. Zu existieren bedeutet hier nämlich, daß man seine Geheimnisse an einen Stellvertreter weitergibt. Die Menschen sind ja so abergläubisch. Sie klammem sich an die Fiktion des Ichs,
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