In Zeiten der Flut
Nachtluft nicht verdunsten wollte. Vielleicht konnte man sie von der Straße aus sehen, doch das war ihnen egal.
»Du überraschst mich«, meinte Undine. »Wie hast du von den dunklen Sternbildern erfahren?«
»Ich hab's irgendwo aufgeschnappt.« Das Geländer an seinem Bauch war kühl, Undines Hüfte warm. Er legte ihr eine Hand ins Kreuz, ließ sie langsam über ihr glitschiges, glattes Fleisch hinuntergleiten. »Das da, hinter dem Südstern - das einem Tier ähnelt. Welches ist das?«
»Man nennt es den Panther«, sagte Undine. »Es ist ein weibliches Zeichen, welches das Verlangen nach spirituellem Wissen symbolisiert und bei bestimmten Ritualen nützlich ist.«
»Und das da drüben?«
»Der Golem. Ein männliches Zeichen.«
»Und das da, das an einen fliegenden Vogel erinnert?«
»Die Krähe«, sagte sie. »Das ist die Krähe.«
Er schwieg.
»Du möchtest wissen, wie Gregorian mich gekauft hat. Willst du wissen, mit welcher Münze er mich bezahlt hat?«
»Nein«, sagte der Bürokrat. »Ich will's überhaupt nicht wissen. Aber ich fürchte, ich muß dich danach fragen.«
Sie streckte die Hand vor und schüttelte den Arm.
Das diamantene Registrierungsarmband löste sich.
Undine fing es geschickt mitten im Flug auf, legte es um ihr Handgelenk und ließ es zuschnappen. »Er hat eine Plasmalötlampe. Einer seiner bösen, alten Kunden hat sie ihm als Bezahlung dagelassen. An und für sich stehen sie unter strikter Kontrolle, aber es ist schon erstaunlich, was die Leute für eine Spritze, die ihnen das ewige Leben verheißt, alles tun.«
»Das ist alles, was für dich dabei herausgesprungen ist? Eine Möglichkeit, der Registrierung zu entgehen?«
»Du vergißt, daß ich nichts weiter für ihn getan habe, als dir eine Nachricht zu überbringen. Er wollte, daß ich dich vor ihm warne. Das war nicht viel.« Sie lächelte. »Und netter warnen konnte ich dich schließlich nicht.«
»Er hat mir einen Arm geschickt«, sagte der Bürokrat grob. »Einen Frauenarm. Er hat gemeint, er habe dich ertränkt.«
»Ich weiß«, sagte Undine. »Genauer gesagt, ich habe davon gehört.« Sie schaute ihn mit ihrem verwirrend direkten Blick an. »Vielleicht ist jetzt der Zeitpunkt für Entschuldigungen gekommen. Eigentlich wollte ich mich aus zwei Gründen bei dir entschuldigen, einmal, weil Gregorian dich hinsichtlich meines Wohlergehens getäuscht hat, und dann für den Ärger, den du, wie ich gehört habe, wegen Mintouchian hattest.«
»Mintouchian?« Der Bürokrat war verwirrt, vollkommen ratlos. »Was hast du denn mit Mintouchian zu schaffen?«
»Das ist eine lange Geschichte. Wollen mal sehen, ob ich's kurz machen kann. Madame Campaspe, die Gregorian und mich unterrichtet hat, verdiente ihr Geld auf recht unterschiedliche Weise. Einige ihrer Erwerbsquellen würdest du nicht gutheißen, denn sie hatte ihre eigenen Maßstäbe und entschied selbst, was gut und richtig war. Vor langer Zeit kam sie in den Besitz einer Aktentasche, wie du eine besitzt, und begann mit der Herstellung gefälschter Drul-Artefakte.«
»Die Leute in Clay Bank!«
»Ja. Sie hatte eine kleine Organisation am Laufen - jemand, der sich um die Aktentasche kümmerte, Agenten in mehreren Boutiquen des Inneren Kreises, und dann war da noch Mintouchian, der die Waren aus dem Tideland herausbrachte. Das Problem bei derartigen Organisationen, die von einem abhängig sind, ist natürlich, daß sie meinen, man wäre ihnen etwas schuldig. Als Madame Campaspe wegzog und die Aktentasche nicht ganz zufällig durchbrannte, kamen sie daher zu mir. Sie wollten wissen, was sie jetzt tun sollten.
Warum fragt ihr gerade mich? Das wollten sie nicht hören - sie wollten, daß ihnen jemand sagte, was sie zu tun und zu lassen hätten, wann sie ausatmen und wieder einatmen sollten. Sie begriffen nicht, daß ich keine Lust hatte, ihre Mami zu spielen. Ich fand, es sei für mich an der Zeit, zu verschwinden. Ich beschloß, Madame Campaspes Beispiel zu folgen und meinen Tod durch Ertrinken zu arrangieren.
Gregorian und ich sprachen über die Herkunft einiger Gegenstände, die Madame Campaspe mir hinterlassen hatte, und über Möglichkeiten, sie loszuwerden. Als ich sagte, ich hätte beschlossen, mein altes Ich zu ertränken, bot er mir an, die Sache für einen sehr vernünftigen Preis zu regeln - er verlangte gerade soviel, daß ich nicht mißtrauisch wurde. Er ließ per Luftfracht von den Klonierungsanlagen in Nordhorst einen Arm einfliegen und behandelte und
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