Ina: Der Konflikt (German Edition)
Doch Ina genoss die Stille. Sie hatte an diesem Abend genug gesagt, war müde, ihre Gedanken waren durcheinander gewirbelt und sie wollte einfach nur da stehen und ihre Umgebung beobachten. Kadir tat dasselbe. Stand da und beobachtete. Hin und wieder wechselten sie einige Worte miteinander, aber es ergab sich kein Gespräch daraus. „Kapitän“, Saira’s Förmlichkeit, die wie aus dem Nichts aufgetaucht war, war kaum zu übertreffen. Kadir begegnete ihr mit derselben Form: „Soldat.“ Dann wandte sie sich zu Ina: „Ich gehe. Davut kann kaum noch gerade stehen“, Saira kam etwas näher zu Ina, damit sie in ihr Ohr flüstern konnte: „Soll ich dich von diesem Ekel befreien?“
„Richte Davut Grüsse von mir aus, wenn er wieder bei Verstand ist“, entgegnete Ina offen, so dass es Kadir auch hören konnte. Bei diesen Worten verdrehte Saira die Augen, verabschiedete sich in aller Form von Kadir und ging mit Davut in den Armen davon. Kadir betrachtete Ina lange und ungeniert. „Weshalb sehen sie mich so an, Sir?“
„Wollten sie nicht auch gehen?“
„Wenn ich gehen wollte, Kapitän, würde ich nicht auf Unterstützung warten“, Ina sprach direkt und kühl. Der Abend dauerte bereits zu lange, um noch Höflichkeit vorzutäuschen. In Kadir's Augen erkannte Ina ein kleines Aufblitzen von Triumph. „Das bedeutet nur, dass ich gerne hier stehe und beobachte. – Mehr nicht“, füge Ina hastig an. Auf keinen Fall wollte sie ihm den Eindruck vermitteln, dass sie seine Gesellschaft mochte. „Natürlich“, seine Miene sagte den Rest. Er wusste, dass sie ihre Meinung über ihn geändert hatte. „Allerdings. Ich habe tatsächlich vor zu gehen Kapitän“, noch länger mit Kadir dort zu verweilen, hätte er als eindeutige Aussage auffassen können. „Ich werde sie Nachhause begleiten.“
„Das müssen sie nicht tun“, Ina wollte noch alleine sein. Doch Kadir hatte nicht vor, das zu zulassen: „Der Anstand lässt nicht zu, dass ich sie spät Nachts alleine gehen lasse.“ Bei diesen Worten musste sie unwillkürlich lachen. Denn die Sonne war bereits aufgegangen. Mit einer Handbewegung gab sie ihm ihr Einverständnis.
Die Sonne blendete, als sie das Gebäude verliessen. Ina hatte Mühe damit, sich an den grellen Lichtunterschied zu gewöhnen. Sie drückte ihre Augenlieder zusammen und hielt schützend ihre Hand davor, doch sie war fast blind. Kadir hatte diesen Makel an ihr während der Rekrutenschule zur genüge kennen gelernt. Also nahm er ohne ausflüchte ihren Arm und führte sie sicher bis zur U-Bahn. Im Untergrund war die Beleuchtung nicht so grell und sie sah die Hindernisse auf ihrem Weg wieder. Ihre Beine waren schwer, und die Treppe die hinunter führte, schien endlos zu sein. In der High-Speed-Bahn sassen sie schweigend nebeneinander. Ina war zu müde um ein Gespräch zu führen. Wie bereits die Treppe, kam ihr die Fahrt endlos vor. Ihre Augenlieder wurden schwer, das Bild vor ihren Augen verschwamm. Es war nicht nur Müdigkeit. Kadir stand auf. Ina folgte ihm neben die Ausgangstür. Ihre Beine waren wackelig, daher hielt sie sich an einem Riemen, der von der Decke hing, fest. Als die Bahn stoppte, rutschte ihr der Riemen aus der Hand, ihre Beine knickten zur Seite und sie landete in Kadir's Armen. Für ihn war es ein Vergnügen, sie in seinen Armen zu haben. Er sah mit einem charmanten Lächeln auf sie hinunter, als er ihr half sich wieder aufzurichten. Ihr war es unangenehm. Sie stiegen aus und gingen in den Fahrstuhl. Als er sich in Bewegung setzte geriet sie ins Schaukeln, wollte sich an der Tür abstützen, doch diese war weiter weg als sie dachte. Ihre Hand griff ins leere. Mit Sicherheit wäre sie hingefallen, wenn sie sich nicht mit ihrer anderen Hand an Kadir's Arm geklammert hätte. Um sie herum begann sich alles zu drehen. Kadir's Blick ruhte auf ihr. Aber Ina hatte die Tür fixiert, wartete darauf, dass sie sich endlich öffnete, die Luft kam ihr stickig vor, sie hatte das Gefühl erdrückt zu werden. Endlich, die Tür ging auf, liess sie wieder zu Luft kommen, dafür wurden ihre Augen aber wieder gequält. „Wollen sie sich einen Augenblick setzen?“
„Nein, es wird schlimmer“, es würde nicht mehr lange dauern bis sie sich nicht mehr auf ihren Beinen halten konnte. Kadir nahm ihren Arm unter seinen und ging los. Er hätte sie irgendwohin bringen können, ohne dass sie es bemerkt hätte. Ina war so gut wie Blind. Ihre Knie wurden weich. Ihre Augen fühlten sich an, als ob jemand mit
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