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INAGI - Kristalladern

INAGI - Kristalladern

Titel: INAGI - Kristalladern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Strunk
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um ein Haar auf ihn gefallen, wenn sie nicht im letzten Moment einen der Zedernäste zu fassen bekommen und sich daran festgehalten hätte. Sie beugte sich über ihren Begleiter, der reglos auf dem Rücken lag. Jetzt sah sie, dass er mit dem Kopf auf einen der Steine geschlagen war, die sich aus dem Hang gelöst hatten. Erschrocken legte sie die Finger an seinen Hals und war erleichtert, seinen kräftigen Herzschlag zu spüren. Sie fasste ihn vorsichtig unter den Schultern und schleifte ihn ein Stück von der Zeder weg, um ihn außer Reichweite des Amanori zu bringen – für den unwahrscheinlichen Fall, dass dieser noch am Leben sein sollte.
    Haltlos rollte der Kopf des Kiresh auf ihrem Arm zur Seite. Seine Augen waren geschlossen. Der Regen rann ihm übers Gesicht und lief in seine Rüstung. Schlammverschmiert und durchnässt bis auf die Knochen sah er aus wie ein halb ertrunkener Keiko – und unerwartet verletzlich. Die grimmige Anspannung war aus seinen Zügen gewichen und die Linie seines Kiefers wirkte beinahe weich, was seinem Gesicht etwas anrührend Jungenhaftes verlieh.
    Behutsam löste Ishira das Band, das seine Haare zusammenhielt, und teilte die nassen Strähnen, bis sie die Stelle ertastete, wo sein Kopf auf den Stein aufgetroffen war. Es begann sich bereits eine Schwellung zu bilden. Kiresh Yaren stöhnte leise. Seine Augenlider flatterten, doch er wachte nicht auf. Wenigstens ist es keine Platzwunde , stellte Ishira erleichtert fest. Doch was sollte sie jetzt tun? Sie konnte ihren Begleiter nicht einfach hier im Regen liegen lassen, aber sie konnte ihn auch nirgendwo anders hinbringen. Die Pferde waren weit und breit nicht zu sehen. Es gab im Umkreis keinen trockenen Platz und nicht einmal eine Unterlage, auf die sie ihn hätte betten können.
    Ein rollendes Donnern erklang in ihrem Rücken. Ishira schrak zusammen. Im ersten Augenblick glaubte sie, das Gewitter käme zurück, doch dann hörte sie ein schnaubendes Fauchen und das Rascheln von Zweigen. Der Amanori! Er lebte noch! Sie fuhr halb herum, die Arme in einer nutzlos beschützenden Geste um den bewusstlosen Kiresh geschlossen. Wenige Meter entfernt brach der Kopf des Drachen durch das Geäst seines Gefängnisses. Sein stachelbewehrter Schwanz peitschte den Boden, dass der Schlamm aufspritzte. Mit seinen Klauen riss er an den Ästen der Zeder in dem vergeblichen Versuch, sich zu befreien. Dabei stieß er klirrende Laute aus, die zornig und verzweifelt klangen. Ishira sah ihn wie gebannt an. Hilflos unter dem Stamm und den Ästen der Zeder eingekeilt, deren Flammen der Regen inzwischen gelöscht hatte, wirkte er trotz seiner Raserei eher bedauernswert als bedrohlich.
    Unvermittelt hielt der Amanori inne. Seine Augen fixierten sie – Augen, so klar und golden wie ein Herbstmorgen. Die vertikalen Schlitzpupillen erinnerten entfernt an einen Tamonagi. Nie zuvor war Ishira einem dieser mächtigen Wesen so nahe gekommen, dass sie ihm in die Augen hätte schauen können. Sie schienen unendlich tief, als würde eine ganze Welt in ihnen verborgen liegen. Ishira vergaß Kiresh Yaren und auch, dass sie eigentlich Angst haben sollte. Die Augen des Amanori hielten sie fest. Und sogen sie in ihre goldenen Tiefen hinein.

Kapitel XIX – Verhinderte Rettung
    SCHMERZ. Ihr linker Flügel war gebrochen. Jede Bewegung bereitete Pein. Und sie hatte Angst. Die Menschen vor ihr würden sie töten, wenn es ihr nicht gelang, sich zu befreien.
    Ishira schrie leise auf. Stechender Schmerz war durch ihre linke Schulter gezuckt, als sie den Arm bewegt hatte, aber sie wusste genau, dass sie nicht verletzt war. Und sie hatte sich selbst gesehen! Fassungslos starrte sie den Amanori an. War ihr Bewusstsein einen Lidschlag lang in seinen Körper gewechselt, ohne dass es dafür ihrer Versenkung in die Musik bedurft hatte?
    Jedenfalls war es eindeutig kein Traum gewesen.
    Zumindest hatte es sich äußerst real angefühlt…
    Der Drache unternahm eine neuerliche Anstrengung, sich unter dem Stamm hervor zu wälzen. Ishira wurde gewahr, dass sie in Gefahr schwebte. Sie sollte sich und Kiresh Yaren in Sicherheit bringen, solange sie noch die Möglichkeit dazu hatte. Aber sie rührte sich nicht. Eine Gelegenheit wie diese würde sich ihr nie wieder bieten. Wann, wenn nicht jetzt, konnte sie herausfinden, was hinter ihren Visionen steckte? Ob es zwischen ihr und den Amanori wirklich eine Verbindung gab?
    Sie konzentrierte sich auf ihr Gegenüber. Wieder waren da Schmerz und Furcht,

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