INAGI - Kristalladern
weiteren Ast ein. Diesmal verkantete sie die Waffe jedoch und schnitt schräg in den Stamm. Mit Müh und Not gelang es ihr, das Kesh wieder herauszuziehen. Als sie die harzverklebte Klinge sah, schluckte sie. Kiresh Yaren würde sie umbringen.
Darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an. Er bringt mich sowieso um, wenn er merkt, dass ich einem Amanori dabei geholfen habe zu entkommen.
Endlich schaffte sie es, den zweiten Ast abzuschlagen und wegzuziehen. Der Drache krümmte und drehte seinen schlangenartigen Hals, bis er ihn unter den Stamm geschoben hatte. Seine mächtigen Muskeln spannten sich an, als er versuchte, das Hindernis wegzustoßen.
Hinter Ishira erklang ein ungläubiger Ausruf, dann ein unterdrückter Fluch. Im nächsten Moment riss ihr Kiresh Yaren das Schwert aus der Hand und stieß sie heftig zur Seite. Bevor sie sich von ihrer Überraschung erholt hatte, stand der Kiresh vor dem Amanori, das Kesh stoßbereit in der Hand. Der Drache stieß ein angstvolles Rasseln aus.
In Panik griff Ishira nach dem Arm ihres Begleiters. »Nein, wartet, Deiro! Bitte hört mir zu!« Er schüttelte sie so grob ab, dass sie strauchelte. Hilflos sah sie mit an, wie sich seine Waffe erbarmungslos und mit tödlicher Präzision in den Hals des Amanori senkte. Ihr eigener Schrei vermischte sich mit dem des Drachen.
Kiresh Yaren packte sie hart am Ellbogen. Ohne Federlesen zerrte er sie mit sich – fort von dem zuckenden Drachenleib. »Bist du wahnsinnig geworden?« herrschte er sie mit blitzenden Augen an. Sein ganzer Körper zitterte vor Zorn. »Was hattest du vor?«
Sie sah ihn nur benommen an. In ihren Ohren und in ihrem Herzen gellte noch immer der Todesschrei des Amanori.
Ihr Begleiter schüttelte sie. An seiner rechten Wange zuckte ein Nerv. »Antworte gefälligst! Was sollte das eben? Wolltest du dieses Ungeheuer etwa befreien?«
Ishira öffnete den Mund zu einer Erklärung, aber sie brachte keinen Ton heraus. Wie sollte sie ihm begreiflich machen, was sie dazu bewogen hatte, dem Amanori zu helfen?
Unerwartet lockerte sich Kiresh Yarens Griff. Sein sich verschleiernder Blick war die einzige Vorwarnung, bevor er in sich zusammensackte. Reflexartig fing Ishira ihn auf und schlang sich seinen linken Arm um die Schultern. Sein Kopf hing kraftlos nach unten und er lehnte sich schwer gegen sie. Die Anstrengung war zu viel gewesen.
Ishira warf einen Blick zurück auf den toten Amanori. Sie empfand Trauer, weil es ihr nicht gelungen war, ihn zu retten, und sie bedauerte, dass sie eine unwiederbringliche Gelegenheit verloren hatte, mehr über diese geheimnisvollen Wesen zu erfahren – und den Grund für ihre Angriffe. Es war ein Fehler gewesen, den Amanori zu töten, aber sie durfte ihrem Begleiter keinen Vorwurf machen. Diesmal hatte ihn weniger sein Hass auf die Drachen als reiner Überlebensinstinkt angetrieben.
Hatte er am Ende sogar richtig gehandelt und sie war diejenige, die sich im Unrecht befand? Was wusste sie schließlich über die Amanori? Vielleicht hätte der Drache sie beide erneut angegriffen, sobald er frei gewesen wäre. Sie durfte diese Wesen nicht mit Menschen vergleichen, auch wenn sie zu Gedanken und Gefühlen fähig waren. Konnte sie von einem solchen Geschöpf Dankbarkeit erwarten?
Aber sie hatte jetzt keine Zeit, sich weiter mit solchen Fragen zu befassen. Im Moment war etwas anderes vordringlich. Kiresh Yaren war kaum in der Lage, sich auf den Beinen zu halten. Ishira umfasste seine Taille fester und hakte ihre Finger in seinen Gürtel, um ihn aufrecht zu halten. Wo sollte sie mit ihm hin? Hier konnten sie nicht bleiben. Der Regen rauschte mittlerweile vom Himmel, als hätte er beschlossen, sie zu ertränken. Ishiras nasse Sachen klebten ihr am Leib wie eine schlechtsitzende zweite Haut. Sie hätte alles für eine trockene Behausung und ein wärmendes Feuer gegeben, doch beides schien gleichermaßen fern zu sein. Sie konnte sich nicht erinnern, auf dem Wegestück, das hinter ihnen lag, eine Höhle oder auch nur einen Vorsprung gesehen zu haben, der ihnen Schutz bieten würde. Sie überlegte, ob sie nach den Pferden suchen sollte, aber es widerstrebte ihr, den Kiresh in seiner momentanen Hilflosigkeit allein zu lassen. Was, wenn ihn ein Raubtier angriff? Schließlich entschied sie sich dafür, weiter zu gehen und darauf zu vertrauen, dass ihr Begleiter durchhielt, bis sie entweder auf ihre Reittiere stießen oder einen geeigneten Platz zum Übernachten fanden.
Auch wenn der Kiresh kaum zu
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