INAGI - Kristalladern
angefleht, mit den Kireshi kämpfen zu dürfen, doch dieser hatte es ihm strikt verboten: nicht, bevor Yaren seine Ausbildung beendet hätte. Von da an hatte er seine Anstrengungen im Schwertkampf noch verstärkt. Peron hatte gewitzelt, dass er irgendwann auf dem Übungsplatz Wurzeln schlagen würde, wenn er noch mehr Zeit dort verbrächte.
Als Yaren fünfzehn wurde, war seine Familie zurück aufs Festland gezogen. Seine Mutter und seine Schwestern hatten seinen Vater so lange bekniet, bis dieser schließlich nachgegeben hatte. Er übernahm den gut bezahlten und angesehenen Posten als Kouran der Leibgarde eines Cousins des Baishar , der über die Provinz Ragore im Osten Gohars herrschte. Yaren war nicht mitgegangen. Er hatte in Hakkon bleiben und seine Ausbildung abschließen wollen. Und er hatte Peron und Larika nicht verlassen wollen, die ihm inzwischen näher standen als seine Geschwister. Rondar hatte angeboten, dass Yaren in seinem Haus wohnen könnte, und sein Vater war einverstanden gewesen. Er hatte seiner Familie später aufs Festland nachfolgen sollen, doch dazu war es nie gekommen. Bis zum heutigen Tag hatte Yaren seine Eltern und seine Schwestern nicht wieder gesehen. Seine Welt war vor sechs Jahren in Scherben zerfallen und seine Zukunft zusammen mit Peron und Larika beerdigt. Er hatte Rondars Tochter einen Antrag machen wollen, sobald er die Volljährigkeit erreicht hatte, doch stattdessen hatte er ihr durch den Fluch der Götter den Tod gebracht. Es gab keinen anderen Ort für ihn als diese Insel. Auf Inagi würde er Drachen jagen, bis er für sein Versagen gebüßt hatte. Und wenn es so weit war, würde er auf Inagi sterben.
Zwei der Kireshi verließen den Platz. Sie kamen nah an ihm vorbei und warfen ihm im Vorübergehen neugierige Blicke zu. Yaren beachtete sie nicht. Langsam löste er sich aus seiner starren Haltung und ging zur anderen Seite des Platzes. An einer Stelle, die sich für den unwissenden Betrachter durch nichts von ihrer Umgebung unterschied, blieb er stehen. Dieses Stück staubiger Boden war der Geburtsort seiner schlimmsten Alpträume. An jener Stelle war Larika von einem Drachenblitz getroffen worden und an derselben Stelle waren sie und ihr Bruder gestorben.
Yaren presste Daumen und Zeigefinger auf seine Nasenwurzel und versuchte, die entsetzlichen Bilder zu verdrängen, die mit ungeahnter Gewalt über ihn hereinbrachen, als wären seit jener Tragödie nur einige Tage und nicht Jahre vergangen. Er wusste, dass ihn die Erinnerung für immer heimsuchen, der Schrecken nie verblassen würde. Tagsüber schloss er seine Gedanken daran in einem Winkel seines Bewusstseins ein. Doch er konnte die Nächte nicht zählen, in denen er aus Alpträumen hoch schreckte, in denen er immerzu von jenem Drachenangriff träumte. Und von den grauenvollen Minuten, in denen er wieder und wieder den Tod von Rondars Kindern miterlebte. Den Tod, den er verschuldet hatte.
Sein Atem ging keuchend und abgehackt, als wäre er zu schnell gelaufen. Auf seiner Stirn hatte sich ein dünner Schweißfilm gebildet und hinter seiner Stirn pochte dumpfer Schmerz. Beinahe mit Gewalt riss er sich von seinen Erinnerungen los. Er verließ das Fort und lief ziellos am Fluss entlang, um sich zu beruhigen, aber es half nichts. Erst kurz vor Einbruch der Dunkelheit kehrte er zur Herberge zurück. Vor dem Gastraum blieb er stehen. Er fühlte sich kaum dazu in der Lage, die Gegenwart anderer Menschen zu ertragen, aber irgendwie brachte er das Gespräch mit dem Anreshir hinter sich.
Als er für die Sklavin beim Wirt Essen bestellte und ihn anwies, es ihr aufs Zimmer zu schicken, ließ er sich zu etwas hinreißen, das er sonst niemals tat – er bestellte sich einen großen Krug Mishuo. Yaren wusste, dass der Alkohol nur ein flüchtiger Trost war, der ihn umso harscher in die Realität zurückschleudern würde, aber es war ihm egal. Er konnte die Bilder in seinem Kopf nicht länger ertragen. Dieses eine Mal wollte er vergessen. Er hatte Angst vor den Alpträumen, die ihn hier zweifellos noch schlimmer bedrängen würden als sonst, und hoffte, der Wein würde ihn genug betäuben, um ihnen zu entfliehen.
* * *
Ishira war nicht entgangen, dass ihr Begleiter seit ihrer Ankunft in Hakkon noch verschlossener und wortkarger war als sonst. Er hatte sie gar nicht schnell genug loswerden können und sie gezwungen, den Nachmittag in der Herberge zu verbringen. Sie hatte sich die Zeit damit vertrieben, auf dem Rehime zu spielen,
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