INAGI - Kristalladern
Gohari nahm er ihre Anwesenheit gar nicht mehr zur Kenntnis. Es war Rondar, der die Frau zurückhielt und sie bat, noch einen Tee zu bringen – was ihm einen erstaunten Seitenblick seines Schülers eintrug.
Ishira merkte schnell, warum die Freude ihres Begleiters über das Wiedersehen etwas verhalten ausgefallen war. Der jüngere Kiresh redete wie ein Wasserfall. Hauptsächlich drehte sich das Gespräch dabei um Etan selbst. Nachdem er seine Ausbildung zum Kiresh abgeschlossen hatte, hatte er einige Jahre in der Stadtwache von Obei gedient. Doch dort hatte er sich bald gelangweilt. Er hatte die Atmosphäre der Lager und den Kampf vermisst, wie er sagte, und so war er vor drei Jahren nach Ebosagi gekommen. Sie erfuhren, dass der letzte Angriff der Amanori tatsächlich erst wenige Tage her war. »Ihr könnt froh sein, dass Ihr erst jetzt gekommen seid, Seresh! Hier ging es ordentlich zur Sache.« Etans Worten zum Trotz hatte Ishira den Eindruck, dass er den Kampf genossen hatte.
Im Anschluss an seine eigene Lebensgeschichte berichtete Etan, was aus zwei anderen Schülern Rondars geworden war. Einer war inzwischen Lagerkommandant irgendwo im Osten der Insel. Ishira hörte nur noch mit halbem Ohr zu. Sie war müde und hungrig und wünschte sich, der Kiresh möge endlich zum Ende kommen. »Ihr habt noch gar nichts über Euch erzählt, Rondar«, sagte Etan unvermittelt und ließ damit Ishiras erlahmendes Interesse umgehend wieder aufflammen. »Ich hoffe, Eure Schüler lernen noch immer so beflissen wie wir damals.«
Rondar schüttelte den Kopf. »Ich gebe schon seit Jahren keinen Unterricht mehr. Tatsächlich bin ich genau den umgekehrten Weg gegangen wie Ihr«, sagte er leichthin. »Ich habe das Kämpferleben mit dem ruhigen Dasein eines fürstlichen Leibgardisten vertauscht.«
Etan pfiff anerkennend. »Keine schlechte Karriere. Ich denke, in zwanzig Jahren könnte mir das auch gefallen.« Er trank einen Schluck Mishuo. Es war bereits seine dritte Schale. »Dennoch finde ich Eure Entscheidung äußerst beklagenswert. Ihr wart ein strenger Lehrer und habt viel verlangt, aber dafür hatte ein Lob von Euch umso mehr Gewicht. Ganz zu schweigen davon, dass Ihr im Umgang mit dem Kesh ein wahrhaftiger Meister seid. Mit Euch haben die Kireshi einen ihrer besten Ausbilder verloren.«
Rondar schüttelte den Kopf, musste aber wider Willen schmunzeln. »Ihr wart schon immer ein Schmeichler, Etan.«
Der jüngere Kiresh grinste. »In Eurem Fall ist das Lob gerechtfertigt.« Auf einmal schien er sich daran zu erinnern, dass Ishira mit am Tisch saß. Er warf ihr einen abwägenden Blick zu. »Da fällt mir ein: seit einiger Zeit ist auch Mebilor bel Roshtar hier. Er leitet das Haus des Heilens.« Bei der Erwähnung dieses Namens leuchteten Rondars Augen auf. Etan nickte wissend. »Dachte ich mir, dass Euch das freut, Seresh. – Wie ich gehört habe, erforscht er neben seiner eigentlichen Arbeit die Auswirkungen der Kristallenergie und der Drachenblitze auf den menschlichen Körper«, fuhr er fort. »Er scheint da irgendeinen Zusammenhang zu vermuten. Ich könnte mir vorstellen, dass er sich für Eure Sklavin interessiert.«
Rondar lächelte. »Klingt mir in der Tat ganz nach Mebilor.«
Ishira umfasste ihre Teeschale fester. Ihr wurde unwohl bei dem Gedanken, dass ein goharischer Heiler sie als Objekt seiner Studien betrachten könnte. Auf der anderen Seite mochte dies eine unverhoffte Gelegenheit sein, mehr über die Energie zu erfahren. Und vielleicht auch über Rondar. Sie war nun schon über einen halben Mond mit ihm zusammen und wusste noch immer so gut wie nichts über ihn. Tatsächlich kannte sie Etans Leben nach nicht einmal einer halben Stunde besser als das ihres Begleiters. Der jüngere Kiresh hatte ihn als einen ‚wahrhaftigen Schwertmeister‘ bezeichnet. Hatte er übertrieben oder entsprach seine Behauptung der Wahrheit? Sie hatte Rondar einige Male beim Training beobachtet, wenn sie unterwegs gelagert hatten. Natürlich konnte sie seine kämpferischen Fähigkeiten nicht beurteilen, aber seine Bewegungen hatten von langer Übung gezeugt und sie hatte bewundert, wie flüssig und geschmeidig er die komplizierten Bewegungsabläufe ausgeführt hatte. Und aus eigener Erfahrung konnte sie bestätigen, dass er einen guten Lehrer abgab. Doch warum hatte er das Unterrichten aufgegeben? Aus Altersgründen? Wohl eher nicht. Ishira schätzte ihn auf höchstens Ende Fünfzig und er hatte gesagt, dass er schon seit Jahren nicht
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