INAGI - Kristalladern
auszusprechen, ja, sie drängte sich ihm geradezu auf. Doch noch mehr, als er ein solches Gespräch herbeisehnte, fürchtete er sich davor. Nicht umsonst hatte er den längst fälligen Besuch bei Rondar immer wieder hinausgezögert. »Ich habe noch einige Dinge zu erledigen«, wich er aus. Als er die Enttäuschung auf Rondars Gesicht sah, die dieser mehr schlecht als recht zu verbergen suchte, wandte er unbehaglich den Blick ab.
»Und was ist so dringlich, dass du es nicht auf später verschieben kannst?« fragte Mebilor mit hochgezogenen Brauen.
Yaren presste die Lippen aufeinander. Musste sich der alte Mann in seine privaten Angelegenheiten einmischen? Natürlich konnte er seine Waffen auch morgen noch zum Schmied bringen. Genauso wenig eilte es, nach einem Käufer für die Drachenschuppen zu suchen. Wenn er auf seiner Ausrede beharrte, könnte sein Seresh daraus falsche Schlüsse ziehen. Wollte er ihn wirklich noch mehr verletzen? Er seufzte lautlos. Er konnte Rondar nicht ewig aus dem Weg gehen. »Also schön, reiten wir zu diesem Wasserfall«, gab er nach.
Als er sich eine Weile später im Vorraum von Mebilors Haus mit seinem Mentor traf, stellte er missmutig fest, dass auch die Sklavin dabei war. Er hatte vergessen, dass Rondar sie den Tag über beaufsichtigen musste, weil sie in der Mine nichts zu tun hatte, bis der Anreshir zurück war. Beeindruckt betrachtete sie die schwarz eingefärbten Drachenschuppen auf seinem Waffenrock. Yaren versuchte sie zu ignorieren. Hoffentlich würde sie nicht die ganze Zeit an ihren Fersen hängen. Das Letzte, was er gebrauchen konnte, war eine Zeugin seiner Beichte.
Auf dem Weg zum Wasserfall mussten sie schon bald hintereinander reiten. Rondar, dem Mebilor den Weg genau beschrieben hatte, führte ihre kleine Gruppe an, gefolgt von der Sklavin. Ihre langen schwarzen Haare, die an den Seiten mit farbigen Bändern zu kleinen Zöpfen geflochten und im Nacken verknotet waren, hüpften rhythmisch auf und ab. Hin und wieder fächerte ein Windstoß einzelne Strähnen auf und verwirbelte sie. Als Yaren bewusst wurde, dass er das Spiel ihrer Haare schon eine geraume Weile wie hypnotisiert verfolgte, riss er hastig den Kopf herum und heftete seine Augen auf die Berge. Wie in jedem Frühjahr waren die Hänge in den höheren Lagen von dem Teppich aus kleinen weißen Frühlingsblumen überzogen, deren Namen er vergessen hatte. Vielleicht hatte er ihn auch nie gewusst.
Der Weg verlief direkt oberhalb des Flusses. Er wurde stetig schmaler, bis von ihm nicht mehr übrig blieb als ein felsiger Pfad. Die Felswände schlossen sich immer enger um ihre Gruppe. Teilweise hingen sie über und nahmen ihnen die Sicht auf den Himmel. An ihren Flanken rann Wasser herab, das in Rinnsalen den Weg querte. An den Stellen, an denen der Boden der Klamm niemals von der Sonne berührt wurde, waren die Steine glitschig von Moos. Die Pferde hatten Schwierigkeiten, auf dem tückischen Untergrund sicheren Halt zu finden. In der Ferne war – bald lauter, bald leiser – das Brausen des Wasserfalls zu hören. Als sie um eine weitere Kurve bogen, lag er plötzlich direkt vor ihnen. Aus langjähriger Gewohnheit musterte Yaren die Szenerie mit geschultem Blick und nahm sie bis ins Detail in sich auf. Das Wasser stürzte aus mehreren hundert Schritten Höhe in drei schäumenden Kaskaden in ein beinahe kreisrundes felsiges Becken. Gischt sprühte hoch und hüllte den Fuß des Wasserfalls in feinen Nebel. An einer Stelle brach sich das Sonnenlicht und ließ die Tropfen wie einen Regenbogen glitzern. Kaori-Fichten und Yushu-Zedern krallten ihre Wurzeln in die steilen Hänge. Den Boden dazwischen bedeckten niedrig wachsender Bambus und Farn. Auf der rechten Seite traten die Felswände gut zwei Dutzend Schritte zurück und gaben einer kleinen Wiese Raum, an deren Rand einige Kaori-Fichten standen. Am gegenüberliegenden Ende lagen verstreut Felsbrocken und umgeknickte tote Bäume – Überreste einer Steinlawine, der vor längerer Zeit ein Teil des Hangs zum Opfer gefallen war. Rondar lenkte sein Reittier zu der Fichte, die ihnen am nächsten stand, und schlang die Zügel um einen der unteren Äste. Yaren und die Sklavin folgten seinem Beispiel. Flügelschlagend erhoben sich zwei Kara-Karas, die sich durch ihre Anwesenheit gestört fühlten, und suchten krächzend das Weite.
Sein Seresh war an den Rand des Beckens getreten und sah zu, wie die tosenden Wassermassen sich in das Becken ergossen. Die Augen hatte er mit der
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