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INAGI - Kristalladern

INAGI - Kristalladern

Titel: INAGI - Kristalladern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Strunk
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und das machte es umso schlimmer.
    »Es tut mir leid«, wiederholte Yaren tonlos. Elend blickte er zu Boden, niedergeschmettert von der Erkenntnis, dass er die Frau seines Mentors nie wiedersehen würde. Didira war ein liebenswerter, warmherziger Mensch gewesen und hatte ihn damals mit offenen Armen in ihrem Haus willkommen geheißen. Ihre Tochter hatte Schönheit und Herzlichkeit von ihr geerbt. Eine weitere Welle aus Schuld schlug über ihm zusammen. Trug er indirekt auch die Verantwortung für Didiras Tod? Seine Hände verkrampften sich auf dem Felsen. »Rondar, ich… mir ist bewusst, dass es euch unverständlich erschienen sein muss, dass ich euch in all den Jahren nie besucht habe«, sagte er, ohne den Älteren anzusehen. »Ich habe so oft an euch beide gedacht, aber… « Er konnte den Satz nicht beenden. Was sollte er auch sagen? Nach der Tragödie in Hakkon war er davongelaufen, weil er es nicht mehr ausgehalten hatte. Die einzige Chance, seiner Schuld zu entkommen, hatte er darin gesehen, die Drachen zu jagen. Es war in der Tat eine Flucht gewesen – vor allem vor sich selbst. Yaren fuhr sich übers Gesicht. Es hatte nichts genutzt. Im Gegenteil: Weil er zu feige gewesen war, Rondar und Didira gegenüberzutreten, war er nicht da gewesen, als sie ihn gebraucht hätten. Er hasste sich selbst mehr denn je, dass er die Menschen, die für ihn zur zweiten Familie geworden waren, im Stich gelassen hatte, obwohl er selbst ihnen die größten Schmerzen zugefügt hatte.
    »Wir haben dich vermisst, das ist wahr«, gab Rondar zu. »Aber Didira war überzeugt davon, dass du schon irgendwann auftauchen würdest. Sie sagte immer, du würdest kommen, wenn du bereit dazu seiest. Ich habe ihr übrigens nicht erzählt, dass du in den Bergen auf Drachenjagd gehst, weil ich nicht wollte, dass sie sich noch mehr Sorgen machte. Aber wahrscheinlich wusste sie es auch so.«
    Yaren schluckte. Selbst wenn Didira geahnt hatte, wohin er gegangen war, hatte sie nicht wissen können, was ihn dazu bewogen hatte. Was hätte sie gesagt, wenn sie die Wahrheit gekannt hätte? Hätte sie ihn dann auch noch sehen wollen? Oder wäre sie froh gewesen, wenn er ihr nie wieder unter die Augen getreten wäre? Er blickte über die Wiese, ohne wirklich etwas wahrzunehmen. Wie oft hatte er sich in den vergangenen Jahren vorgenommen, zu Rondar und seiner Frau zu gehen und ihnen alles zu erzählen? Hundertmal? Tausendmal? Doch er hatte es nicht gekonnt. Er war nicht bereit gewesen. Und jetzt war Didira tot.
    Yaren ballte die Fäuste so fest, dass sich seine Fingernägel ins Fleisch bohrten. Warum schwieg er immer noch? War er nicht hier, um endlich reinen Tisch zu machen? Wie lange wollte er noch davonlaufen? Ein Teil von ihm wollte es herausschreien, wollte seinem Seresh endlich sagen, was vor sechs Jahren in Hakkon wirklich passiert war. Dass alles seine Schuld war. Dass Larika und Peron und wahrscheinlich auch Didira noch leben könnten, wenn er nicht so unverzeihlich unbesonnen gewesen wäre. Doch kein Laut kam über seine Lippen. Sein Kiefer schien erstarrt, seine Zunge wie angeklebt. Voller Selbstverachtung erkannte er, dass er sich so sehr vor der bitteren Enttäuschung und Zurückweisung fürchtete, die sich nach seinem Geständnis unweigerlich in Rondars Augen widerspiegeln würden, dass er trotz allem lieber mit seinen Schuldgefühlen sterben wollte, als die Zuneigung seines Mentors zu verlieren – auch wenn er sie nicht länger verdiente.

    * * *

    Ishira spazierte am Ufer des Flusses entlang und beobachtete zwei glitzernde blaue Libellen, die sich über das Wasser jagten, doch nach einer Weile kehrte sie zur Wiese zurück und ließ sich erneut vom Anblick des Wasserfalls gefangen nehmen. Zu gern wäre sie noch näher herangegangen. Sie nahm den schmalen Uferstreifen zu ihrer Rechten in Augenschein. Zwar war die Erde an einigen Stellen ausgebrochen, aber mit ein bisschen Kletterei über die Felsen müsste es zu schaffen sein, bis direkt an den glitzernden Vorhang zu kommen. Über die Schulter warf sie einen Blick zu den beiden Kireshi hinüber. Sie waren in ihre Unterhaltung vertieft und schenkten ihr keine Aufmerksamkeit. Unschlüssig trat Ishira von einem Fuß auf den anderen. Sollte sie es tun? Es waren ja nur ein paar Schritte. Und hatte Rondar ihr nicht erlaubt sich umzusehen, solange sie sich nicht zu weit entfernte?
    Endlich fasste sie sich ein Herz. Vorsichtig balancierte sie am Rand des Beckens entlang und hielt sich dabei an Wurzeln

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