INAGI - Kristalladern
nützlich gemacht haben«, schnaubte er. »Soll ich etwas für euch kochen, Ishira?«
Rasch schüttelte sie den Kopf. »In der Speisekammer steht noch der Rest Asagi von gestern«, erwiderte sie. »Das genügt mir und Ken wird ohnehin höchstens Tee oder Brühe trinken.«
Ihr Bruder war erschreckend blass. Seine Brauen waren schmerzvoll zusammengezogen und seine Glieder so verkrampft, dass er kaum liegen konnte. Mit einem Zipfel der Decke reinigte Ishira sein Gesicht vorsichtig vom Sand. An Stirn und Kinn war die Haut vom Sturz aufgeschürft. Sie würde später etwas Salbe auf die geröteten Stellen streichen. Währenddessen rieb Kanhiro Kenjins Beine, um den Blutfluss anzuregen. Ishira folgte seinem Beispiel und nahm sich Kens Arme vor. Endlich schlug ihr Bruder die Augen auf.
»N-Nira« stotterte er. »W-was ist passiert?«
Sie streichelte seine Wange. »Du bist in den Blitzstrahl eines Amanori geraten.«
Kanhiro deutete ein Lächeln an. »Ich kann mir vorstellen, wie du dich jetzt fühlst, Ken, aber sieh es mal so: In ein paar Tagen kannst du mit deinem Erlebnis bei den Mädchen angeben.« Aufmunternd drückte er Kenjins Schulter.
Ihr Bruder versuchte zu grinsen, aber es wurde nur eine verzerrte Grimasse daraus, als eine neue Krampfwelle seinen Körper packte. Er keuchte abgehackt. Ishira nahm ihn in den Arm. »Alles wird gut, Ken.«
Togawa kehrte mit der Schüssel Asagi zurück, in der er ein paar Stücke Räucherfisch und eingelegte Suugiwurzeln angerichtet hatte. Er stellte die Schüssel neben Ishira auf den Boden und goss Ebotee in zwei Schalen.
Ishira lächelte dankbar. »Du bist ein Schatz, Togawa. Tut mir leid, dass aus dem Mondwendeessen heute nichts wird.«
Kanhiros Vater hob abwehrend eine Hand. »Aber ich bitte dich!«
Sie wartete, bis sich der Tee etwas abgekühlt hatte, dann hob sie Kenjins Kopf an und setzte einen Becher vorsichtig an seine Lippen. Mühsam gelang es ihrem Bruder, zwischen zwei Krampfanfällen ein paar Schlucke zu trinken. Sie wischte ihm einige Tropfen vom Kinn, die daneben gelaufen waren, und strich ihm zärtlich das zerzauste Haar aus der Stirn. »Versuch’ zu schlafen«, murmelte sie. »Morgen früh wird es dir schon viel besser gehen.«
»Können wir sonst noch etwas für euch tun, Ishira?« fragte Togawa.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich denke, jetzt müssen wir einfach abwarten. Ich danke euch beiden für alles.«
Kanhiro lächelte und erhob sich. »Nicht nötig. Ist doch selbstverständlich, dass wir dir und Ken helfen.« Ein verschmitztes Funkeln trat in seine Augen. »Aber wenn du dich revanchieren möchtest, tanz beim Sonnenwendfeuer nur mit mir!«
Sie musste lachen. Als ob sie so viele Verehrer hätte! Außerdem war das noch ewig hin. »Du bist unverbesserlich, Hiro!«
* * *
Immer neue Krampfanfälle schüttelten Kenjins Körper. Wieder und wieder massierte Ishira seine Arme und Beine, um die verspannten Muskeln zu lockern, aber es half nicht viel. Ihr Bruder schluchzte leise vor sich hin. »W-wird es bestimmt wieder aufhören, Nira?«
»Aber ja«, versicherte sie ihn. »Morgen ist alles wieder gut, versprochen.« Sie legte seinen Kopf in ihren Schoß und streichelte tröstend seinen Rücken.
Der erste Angriff der Amanori in diesem Jahr. Wie viele würden noch folgen? Im vergangenen Jahr waren sie dreimal attackiert worden, im Jahr davor zweimal. Jeder Angriff hatte Tote und Verwundete gefordert, wenn auch mehr unter den Kireshi als unter den Bergleuten, weil die Drachen gewöhnlich zu einer Zeit kamen, in der die meisten Inagiri in den Minen waren. Die Geschütze, die die Gohari als Antwort auf die Überfälle installiert hatten, sahen zwar eindrucksvoll aus, zeigten jedoch wenig Wirkung. Die dicken, armlangen Pfeile prallten am dicken Schuppenpanzer der Amanori ab, ohne ihnen mehr als einen Kratzer zuzufügen. Vielleicht waren die Kireshi ja einfach nur schlechte Schützen, aber Ishira war sich nicht so sicher, ob menschliche Waffen den Amanori überhaupt gefährlich werden konnten. Jedenfalls würde es an ein Wunder grenzen, wenn die Gohari heute tatsächlich eines dieser Wesen abgeschossen hätten.
Zum ersten Mal waren die Drachen vor ungefähr zehn Jahren am Himmel aufgetaucht. Seither kamen sie immer häufiger. Wie Ishira aus Unterhaltungen der Gohari aufgeschnappt hatte, war Soshime nicht ihr einziges Ziel. Offenbar waren alle Siedlungen in Nähe der Berge von den Angriffen betroffen. Wohl zum hundertsten Mal fragte sie sich, was die Amanori
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