Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Incarceron

Incarceron

Titel: Incarceron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Fisher
Vom Netzwerk:
war, in eine Picknickdecke, die weit weg und vor langer Zeit auf einer Wiese ausgebreitet worden war. Darauf lag ein halb aufgegessener Geburtstagskuchen mit sieben Kerzen, und da saß ein kleines Mädchen mit braunem Lockenhaar, das ihm höflich einen goldenen Teller reichte.
    Er lächelte es an und nahm den Teller entgegen.
    Das Schiff brach auseinander. Der Mast begann zu bersten, fiel vornüber, und Holzsplitter regneten auf sie nieder. Attia prallte gegen Finn und griff mit fliegenden Händen nach dem glitzernden Kristall, der sich ein Stück aus Finns Hemd geschoben hatte. »Hol den Schlüssel raus«, brüllte sie.
    Aber das Schiff hatte bereits die hintere Wand des Würfels
gerammt, und mit einem Mal umfing Finn vollkommene Dunkelheit, als hätte ein Finger die Ameise zerquetscht. Als wäre der Hauptmast auf ihm gelandet und hätte ihm das Bewusstsein genommen.

Teil 5
Der verlorene Prinz

29
    Die Verzweiflung geht tief. Sie ist ein Abgrund,
der die Träume verschluckt. Eine Wand, die das Ende
der Welt bedeutet. Dahinter erwarte ich den Tod.
Denn das ist es, wohin all unsere Arbeit geführt hat.
    LORD CALLISTONS TAGEBUCH
    Â 
    Â 
    D er Morgen der Hochzeit dämmerte herauf. Es versprach, ein prächtiger, heißer Tag zu werden, denn selbst das Wetter war wie geplant: Die Bäume standen in voller Blüte, und die Vögel sangen, der Himmel war wolkenlos und tiefblau und die Temperatur perfekt. Eine sanfte Brise wehte, und die Luft roch süß.
    Von ihrem Fenster aus beobachtete Claudia die schwitzenden Dienstboten, die Wagenladungen voller Geschenke in den Palast schleppten. Selbst von hier oben sah sie das Glitzern von Diamanten und den Schimmer des Goldes.
    Sie legte ihr Kinn auf den steinernen Fenstersims und spürte die durchdringende Wärme. Genau über ihr befand sich ein Nest. Zwei Schwalben kamen unermüdlich herbeigeflattert, die Schnäbel voller Fliegen, und verschwanden wieder. Die Jungen waren nicht zu sehen, tschilpten aber kläglich und fordernd, während ihre Eltern ein- und ausflogen.
    Claudias Augenlider waren schwer; die Müdigkeit steckte ihr tief in den Knochen. Die ganze Nacht lang hatte sie wach gelegen;
sie hatte zum scharlachroten Baldachin ihres Bettes hinaufgestarrt und dabei auf das Schweigen im Raum gelauscht. Wie ein schwerer Vorhang, der jeden Augenblick auf sie zu fallen drohte, hatte ihre eigene Zukunft über ihr gehangen. Ihr altes Leben war vorbei  – die Freiheit, der Unterricht bei Jared, die langen Ausritte, das Klettern auf Bäume und die Unbekümmertheit, tun und lassen zu können, wonach ihr der Sinn stand. Am heutigen Tage würde sie die Prinzessin von Steen werden und sich am Krieg bei Hofe beteiligen müssen, wo Verrat und Komplotte die Regel waren. In einer Stunde würde man kommen, um sie zu baden, ihr die Haare zu frisieren, die Nägel zu lackieren und sie wie eine Puppe herauszuputzen.
    Sie blickte aus dem Fenster hinunter.
    Weit unten entdeckte sie das Dach irgendeines Turmes. Einen verträumten Moment lang malte sie sich aus, wie sie all ihre Bettlaken aneinanderband und sich hinunterhangelte, ganz langsam, immer mit einer Hand nach der anderen zupackend, bis ihre nackten Füße schließlich die heißen Ziegel berührten. Von da aus kletterte sie in ihrem Tagtraum das restliche Stück bis hinunter zum Boden, stahl ein Pferd aus dem Stall und ritt davon. Sie floh, so wie sie war, in ihrem weißen Nachthemd, in den grünen Wald hinein, der die weit entfernten Hügel bedeckte.
    Der Gedanke erwärmte sie: Das Mädchen, das verschwand. Die verlorene Prinzessin . Sie musste lächeln. Doch ein Ruf von unten ließ sie aufschrecken, und als sie nach dem Urheber Ausschau hielt, entdeckte sie Lord Evian, in ein prächtiges, blaues Gewand mit Hermelinbesatz gekleidet, der zu ihr hochstarrte.
    Er rief irgendetwas. Ihr Fenster lag zu hoch, als dass sie seine genauen Worte hätte verstehen können, aber sie lächelte und nickte. Er verbeugte sich und ging davon. Seine schmalen Absatzschuhe klapperten auf den Steinen.
    Während Claudia ihm nachsah, wusste sie plötzlich, dass der
ganze Hof so war wie er: Hinter der parfümierten und herausgeputzten Fassade lauerte ein Netz von Hass, Intrigen und heimtückischen Morden. Ihr eigener Part in diesem Spiel würde schon bald beginnen, und um zu überleben, würde sie genauso hart wie die

Weitere Kostenlose Bücher